Künftig wird es kaum einen kreativen Prozess mehr geben, der von Künstlicher Intelligenz unberührt bleibt. Das betont Founder und Emerging Tech Specialist Simon Graff im Interview (Foto). Ein Gespräch über Künstliche Intelligenz als Sparringspartner, seine KI-Modemarke DNSYS, kuriose Facebook-Schlagzeilen und die Frage, wie man bei der rasanten Entwicklung überhaupt noch den Überblick behalten kann.
Über ein Jahr ChatGPT und ein regelrechter Run auf alle möglichen GenAI-Tools: Inwiefern haben die letzten Monate die Arbeit der Kreativen und Agenturen verändert?
Simon Graff: Die Welt der Kreativen und Agenturen ist auf jeden Fall ein gutes Stück schneller geworden. Selten habe ich eine derartige Dynamik erlebt; sobald eine Idee aufkommt, lässt sie sich im Dialog mit ChatGPT weiterspinnen, schnell in konkrete Formen pressen – von der Insta-Caption über Kampagnen-Ideen bis hin zu kompletten Filmskripten. Das kreative Sparring mit einer KI verändert die Branche zusehends, beschleunigt Prozesse in der Kreation. Allerdings ist der Output, bei aller rasanter Geschwindigkeit, auch anfällig in Hinblick auf Redundanz, Bias und Klischees. Er bildet oft eine solide Baseline, ist aber selten „production ready“ Output. Noch kann ein ChatGPT nicht die menschliche Arbeit, die menschliche Kreativität ersetzen, aber sie ist ein mächtige(r) Verbündete(r).
Welche Trends zeichnen sich Deiner Meinung nach Bereich ab?
Graff: Wir werden die kommenden Monate erleben, dass Customization, also individuelle KI-Lösungen, noch gefragter werden. Hierbei geht es in erster Instanz um Kontrolle über die Trainingsdaten sowie den Output. Verschiedene Agenturen offerieren dahingehend bereits Lösungen, auch ein BoschGPT oder dmGPT, die aktuell zumeist intern genutzt werden, werden ihren Weg auf die öffentliche Online-Bühne finden und so die Customer Experience massiv verändern. Der nächste Punkt, der sehr relevant werden wird, ist die weitere Integration von KI-Modellen in bestehende Tools. Hier sind allen voran Microsofts Co-Pilot und Adobes Firefly ein guter Fingerzeig. KI wird bleiben und über gewohnte Tools bzw. digitale Arbeitsumgebungen omnipräsent werden, weil Ihnen in diesem Kontext Vertrauen entgegengebracht wird.
Ist der Job von Kreativen massiv gefährdet?
Graff: Ob und wie gefährdet man als kreative Person ist, hängt, denke ich, von zwei Faktoren ab. Zum einen von der eigenen Stellung im Unternehmen: Wie relevant, außergewöhnlich ist die eigene Arbeit im Vergleich zum Output der KI? Wird mir im Unternehmen eingeräumt, dass ich mich anderen Aufgaben widme als jenen, welche die KI tendenziell übernehmen kann? Kann ich mich weiterentwickeln oder wird mein Job wegrationalisiert? Ich will keine Panik schüren, aber solche Entwicklungen müssen diskutiert werden. Alle Kreativen haben jedoch die Chance, sich auf diese Entwicklung einzulassen und ihre eigenen Fähigkeiten mit der Hilfe von KI auf das nächste Level zu pushen. Außerdem bleibe dabei: Auf absehbare Zeit wird der Mensch als Kurator eine integrale Rolle spielen. Nur über die Expertise-basierte Bewertung lässt sich durchschnittlicher von brauchbarem KI-Output unterscheiden und gezielt weiterentwickeln.
Die Tool-Landschaft wird weiter rasant wachsen. Wie kann man da noch den Überblick behalten?
Graff: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Für einen generellen Überblick würde ich empfehlen, einige gut kuratierte KI-Newslettern zu abonnieren. Ich mag z.B. die AI-Nauten (DE) oder Zain Kahns „Superhuman“ (EN) sehr gerne. Podcasts oder Content-Creator, z.B. auf YouTube oder LinkedIn, können auch tolle Wissensquellen sein. Wer tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem empfehle ich auf Reddit entsprechenden Boards beizutreten – zu OpenAI, Stable Diffusion, Machine Learning etc. Hier geht’s inhaltlich oft ans Eingemachte, vor allem technisch. Sehr faszinierend, wenn auch teilweise überfordernd.
Du hast mithilfe von KI die Modemarke DNSYS entwickelt - von der Kollektion bis hin zum Logo. Was war die Absicht?
Graff: Die Idee zu DNSYS lag schon lange in einer Schublade: Eine eigene, virtuelle Modemarke entwickeln, die es theoretisch auch „in echt“ geben könnte. Als dann Ende letzten Jahres generative KI wie ChatGPT und Midjourney unkompliziert verfügbar war, habe ich mich einfach hingesetzt und die Idee (ChatGPT) und Visualität (Midjourney) weiterentwickelt, eine Geschichte erzählt und anfassbar gemacht. Mein Anspruch ist grundsätzlich, mich mit diesen Technologien aktiv zu beschäftigen, nicht nur drüber zu reden. Praxis statt Theorie, sozusagen. Ich wollte sehen, wie weit ich mit den aktuellen KI-Modellen gehen kann, was die Grenzen sind. Da die Entwicklung so rasant ist, wird es nie langweilig. Wir nehmen mit DNSYS an der AI Fashion Week, einem internationalen KI-Modewettberwerb, teil, experimentieren im Kontext DNYS aber nicht nur mit immer neuen 2D- und Text-Lösungen, sondern auch mit generativer KI in den Feldern Video, 3D, wir bauen Showreels und Showrooms. Es wird nicht langweilig. Letztlich ist DNSYS, inzwischen eine angemeldete Marke, unser KI-Demo-Tape, mit dem wir Kund:innen Lust auf das Thema machen, aber auch klar eingrenzen können, wo aktuelle Potentiale und Limitationen von generativer KI liegen.
Modemarke DNSYS: Demo-Tape für Generative KI (Fotos: Instagram)
Bedeutet das auch, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen immer durchlässiger wird? Weil man durch GenAI in die Lage versetzt wird, beruflich in ganz anderen Bereichen aktiv zu werden? Nach dem Motto: Jeder kann jetzt Marken und Produkte entwickeln, Designer, Komponist und Autor werden?
Graff: Gute Frage! Tendenziell ja, allerdings ist die Wahrheit dahinter dann doch deutlich komplexer. Man kann sich ausprobieren, Ideen entwickeln, aber eine wirkliche Bewertung des Outputs, insbesondere auf professionellem Niveau, fällt ohne Expertise schwer. Ich kann ein generiertes „Foto“ beispielsweise ganz toll finden, echte Profis in dem Feld hätten vielleicht eine ganz andere Meinung dazu. Vielleicht ist das Licht off, die Perspektive, Tiefenschärfe auch. Am Beispiel DNSYS hieße das zum Beispiel, ich kann schöne Bilder generieren, die Outfits sehen toll aus, aber wenn es darum ginge, den Schnitt, die Materialien, kurzum die Realisierbarkeit der Outfits zu bewerten, dann stehe ich dumm da. Davon habe ich keine Ahnung, durch KI werde ich nicht „mal eben“ zum realen Modeschöpfer.
Du bist auch Experte für das Metaverse. Da ist es ein wenig still geworden, weil sich ChatGPT so in den Vordergrund gedrängt hat. Bleibt es bei dieser Rollenverteilung?
Graff: Das ist das faszinierende an Hype-Cycles. Alles wird extrem heiß gekocht und verpufft genauso schnell wieder, sobald der nächste Hype über die Branche(n) hinwegfegt. Ich glaube, in den knapp zehn Jahren, die ich mit immersiven Medien arbeite, wurde VR mindestens fünf Mal gehyped und ist noch viel häufiger von selbsternannten Expert:innen für „tot“ erklärt worden. Insbesondere kurios fand ich die letzten Monate die Schlagzeilen a la „AI killed the Metaverse“ oder „Zuckerberg pivots to AI after pivoting to the Metaverse", als würde es für einen solchen Konzern um ein „entweder-oder“ gehen. Sicherlich, der Buzz der Stunde gehört generativer KI.
Worum geht es beim Metaverse perspektivisch?
Graff: Perspektivisch geht es beim Metaverse um viel mehr, insbesondere, da es kein konkretes Produkt, sondern eine Vision der Kommunikation, basierend auf räumlichem Computing, beschreibt. Einen Ansatz und strategische Ausrichtung, an der so ziemlich alle Big-Tech-Konzerne arbeiten, lediglich unter anderen Labels — und nicht alle so laut wie Meta. Dass diese Vision letztlich von generativer KI überhaupt erst ermöglicht wird, beispielsweise im Bereich Computer Vision, Content Creation oder durch KI-Agenten, wird dabei gern vergessen. Es fehlt in unserer überhitzten Branche oft das Verständnis vom großen Ganzen. Nur wenige schaffen es, die einzelnen Trends mental zu verknüpfen. Isolierte Hypes geben natürlich bessere Headlines: Dass zum Beispiel Zuckerberg nicht nur viel Geld in Metaverse-Forschung „verbrät“, wie gerne getitelt wird, sondern noch viel mehr in KI-Forschung investiert, wird in dem Kontext gerne ignoriert. „Zuckerberg does AI and Metaverse“ macht eben keine gute Schlagzeile.
Abschlussfrage: Wird es Bereich für Kreative geben, wo der Einsatz von KI definitiv keinen Sinn macht?
Graff: Bei der aktuellen Dynamik, und es gibt keine Anzeichen, dass damit bald Schluss wäre, glaube ich ehrlicherweise, dass perspektivisch kein kreativer Prozess von KI „unberührt“ bleibt. Die Frage wird nur sein: Wie gehen wir als Kreative und perspektivisch unsere Gesellschaft mit dieser rasanten Entwicklung um? Klar ist, dass es sicherlich nicht langweilig werden wird.
Das Interview führte Helmut van Rinsum
Simon Graff ist ein Experte für Emerging Technologies wie Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality. Als Berater und Stratege arbeitet er an den Schnittstellen von Technologie, Trends und Use Cases. Im Jahr 2021 gründete er die strategische Innovations-Beratung For Real?! Simon ist seit 2019 auch Vorsitzender des Hamburger XR-Fachverbandes nextReality e.V. sowie Gründer der mit KI geschaffenen Modemarke DNSYS.
Weitere Interviews:
Simon Deluigi: 5 Marketing-KI-Tools im Praxistest
Hartmut Deiwick: Durch KI steigen die Ansprüche der Kunden
Marc Funk: Die Fehlertoleranz liegt exakt bei Null
Künftig wird es kaum einen kreativen Prozess mehr geben, der von Künstlicher Intelligenz unberührt bleibt. Das betont Founder und Emerging Tech Specialist Simon Graff im Interview (Foto). Ein Gespräch über Künstliche Intelligenz als Sparringspartner, seine KI-Modemarke DNSYS, kuriose Facebook-Schlagzeilen und die Frage, wie man bei der rasanten Entwicklung überhaupt noch den Überblick behalten kann.
Über ein Jahr ChatGPT und ein regelrechter Run auf alle möglichen GenAI-Tools: Inwiefern haben die letzten Monate die Arbeit der Kreativen und Agenturen verändert?
Simon Graff: Die Welt der Kreativen und Agenturen ist auf jeden Fall ein gutes Stück schneller geworden. Selten habe ich eine derartige Dynamik erlebt; sobald eine Idee aufkommt, lässt sie sich im Dialog mit ChatGPT weiterspinnen, schnell in konkrete Formen pressen – von der Insta-Caption über Kampagnen-Ideen bis hin zu kompletten Filmskripten. Das kreative Sparring mit einer KI verändert die Branche zusehends, beschleunigt Prozesse in der Kreation. Allerdings ist der Output, bei aller rasanter Geschwindigkeit, auch anfällig in Hinblick auf Redundanz, Bias und Klischees. Er bildet oft eine solide Baseline, ist aber selten „production ready“ Output. Noch kann ein ChatGPT nicht die menschliche Arbeit, die menschliche Kreativität ersetzen, aber sie ist ein mächtige(r) Verbündete(r).
Welche Trends zeichnen sich Deiner Meinung nach Bereich ab?
Graff: Wir werden die kommenden Monate erleben, dass Customization, also individuelle KI-Lösungen, noch gefragter werden. Hierbei geht es in erster Instanz um Kontrolle über die Trainingsdaten sowie den Output. Verschiedene Agenturen offerieren dahingehend bereits Lösungen, auch ein BoschGPT oder dmGPT, die aktuell zumeist intern genutzt werden, werden ihren Weg auf die öffentliche Online-Bühne finden und so die Customer Experience massiv verändern. Der nächste Punkt, der sehr relevant werden wird, ist die weitere Integration von KI-Modellen in bestehende Tools. Hier sind allen voran Microsofts Co-Pilot und Adobes Firefly ein guter Fingerzeig. KI wird bleiben und über gewohnte Tools bzw. digitale Arbeitsumgebungen omnipräsent werden, weil Ihnen in diesem Kontext Vertrauen entgegengebracht wird.
Ist der Job von Kreativen massiv gefährdet?
Graff: Ob und wie gefährdet man als kreative Person ist, hängt, denke ich, von zwei Faktoren ab. Zum einen von der eigenen Stellung im Unternehmen: Wie relevant, außergewöhnlich ist die eigene Arbeit im Vergleich zum Output der KI? Wird mir im Unternehmen eingeräumt, dass ich mich anderen Aufgaben widme als jenen, welche die KI tendenziell übernehmen kann? Kann ich mich weiterentwickeln oder wird mein Job wegrationalisiert? Ich will keine Panik schüren, aber solche Entwicklungen müssen diskutiert werden. Alle Kreativen haben jedoch die Chance, sich auf diese Entwicklung einzulassen und ihre eigenen Fähigkeiten mit der Hilfe von KI auf das nächste Level zu pushen. Außerdem bleibe dabei: Auf absehbare Zeit wird der Mensch als Kurator eine integrale Rolle spielen. Nur über die Expertise-basierte Bewertung lässt sich durchschnittlicher von brauchbarem KI-Output unterscheiden und gezielt weiterentwickeln.
Die Tool-Landschaft wird weiter rasant wachsen. Wie kann man da noch den Überblick behalten?
Graff: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Für einen generellen Überblick würde ich empfehlen, einige gut kuratierte KI-Newslettern zu abonnieren. Ich mag z.B. die AI-Nauten (DE) oder Zain Kahns „Superhuman“ (EN) sehr gerne. Podcasts oder Content-Creator, z.B. auf YouTube oder LinkedIn, können auch tolle Wissensquellen sein. Wer tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem empfehle ich auf Reddit entsprechenden Boards beizutreten – zu OpenAI, Stable Diffusion, Machine Learning etc. Hier geht’s inhaltlich oft ans Eingemachte, vor allem technisch. Sehr faszinierend, wenn auch teilweise überfordernd.
Du hast mithilfe von KI die Modemarke DNSYS entwickelt - von der Kollektion bis hin zum Logo. Was war die Absicht?
Graff: Die Idee zu DNSYS lag schon lange in einer Schublade: Eine eigene, virtuelle Modemarke entwickeln, die es theoretisch auch „in echt“ geben könnte. Als dann Ende letzten Jahres generative KI wie ChatGPT und Midjourney unkompliziert verfügbar war, habe ich mich einfach hingesetzt und die Idee (ChatGPT) und Visualität (Midjourney) weiterentwickelt, eine Geschichte erzählt und anfassbar gemacht. Mein Anspruch ist grundsätzlich, mich mit diesen Technologien aktiv zu beschäftigen, nicht nur drüber zu reden. Praxis statt Theorie, sozusagen. Ich wollte sehen, wie weit ich mit den aktuellen KI-Modellen gehen kann, was die Grenzen sind. Da die Entwicklung so rasant ist, wird es nie langweilig. Wir nehmen mit DNSYS an der AI Fashion Week, einem internationalen KI-Modewettberwerb, teil, experimentieren im Kontext DNYS aber nicht nur mit immer neuen 2D- und Text-Lösungen, sondern auch mit generativer KI in den Feldern Video, 3D, wir bauen Showreels und Showrooms. Es wird nicht langweilig. Letztlich ist DNSYS, inzwischen eine angemeldete Marke, unser KI-Demo-Tape, mit dem wir Kund:innen Lust auf das Thema machen, aber auch klar eingrenzen können, wo aktuelle Potentiale und Limitationen von generativer KI liegen.
Modemarke DNSYS: Demo-Tape für Generative KI (Fotos: Instagram)
Bedeutet das auch, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen immer durchlässiger wird? Weil man durch GenAI in die Lage versetzt wird, beruflich in ganz anderen Bereichen aktiv zu werden? Nach dem Motto: Jeder kann jetzt Marken und Produkte entwickeln, Designer, Komponist und Autor werden?
Graff: Gute Frage! Tendenziell ja, allerdings ist die Wahrheit dahinter dann doch deutlich komplexer. Man kann sich ausprobieren, Ideen entwickeln, aber eine wirkliche Bewertung des Outputs, insbesondere auf professionellem Niveau, fällt ohne Expertise schwer. Ich kann ein generiertes „Foto“ beispielsweise ganz toll finden, echte Profis in dem Feld hätten vielleicht eine ganz andere Meinung dazu. Vielleicht ist das Licht off, die Perspektive, Tiefenschärfe auch. Am Beispiel DNSYS hieße das zum Beispiel, ich kann schöne Bilder generieren, die Outfits sehen toll aus, aber wenn es darum ginge, den Schnitt, die Materialien, kurzum die Realisierbarkeit der Outfits zu bewerten, dann stehe ich dumm da. Davon habe ich keine Ahnung, durch KI werde ich nicht „mal eben“ zum realen Modeschöpfer.
Du bist auch Experte für das Metaverse. Da ist es ein wenig still geworden, weil sich ChatGPT so in den Vordergrund gedrängt hat. Bleibt es bei dieser Rollenverteilung?
Graff: Das ist das faszinierende an Hype-Cycles. Alles wird extrem heiß gekocht und verpufft genauso schnell wieder, sobald der nächste Hype über die Branche(n) hinwegfegt. Ich glaube, in den knapp zehn Jahren, die ich mit immersiven Medien arbeite, wurde VR mindestens fünf Mal gehyped und ist noch viel häufiger von selbsternannten Expert:innen für „tot“ erklärt worden. Insbesondere kurios fand ich die letzten Monate die Schlagzeilen a la „AI killed the Metaverse“ oder „Zuckerberg pivots to AI after pivoting to the Metaverse", als würde es für einen solchen Konzern um ein „entweder-oder“ gehen. Sicherlich, der Buzz der Stunde gehört generativer KI.
Worum geht es beim Metaverse perspektivisch?
Graff: Perspektivisch geht es beim Metaverse um viel mehr, insbesondere, da es kein konkretes Produkt, sondern eine Vision der Kommunikation, basierend auf räumlichem Computing, beschreibt. Einen Ansatz und strategische Ausrichtung, an der so ziemlich alle Big-Tech-Konzerne arbeiten, lediglich unter anderen Labels — und nicht alle so laut wie Meta. Dass diese Vision letztlich von generativer KI überhaupt erst ermöglicht wird, beispielsweise im Bereich Computer Vision, Content Creation oder durch KI-Agenten, wird dabei gern vergessen. Es fehlt in unserer überhitzten Branche oft das Verständnis vom großen Ganzen. Nur wenige schaffen es, die einzelnen Trends mental zu verknüpfen. Isolierte Hypes geben natürlich bessere Headlines: Dass zum Beispiel Zuckerberg nicht nur viel Geld in Metaverse-Forschung „verbrät“, wie gerne getitelt wird, sondern noch viel mehr in KI-Forschung investiert, wird in dem Kontext gerne ignoriert. „Zuckerberg does AI and Metaverse“ macht eben keine gute Schlagzeile.
Abschlussfrage: Wird es Bereich für Kreative geben, wo der Einsatz von KI definitiv keinen Sinn macht?
Graff: Bei der aktuellen Dynamik, und es gibt keine Anzeichen, dass damit bald Schluss wäre, glaube ich ehrlicherweise, dass perspektivisch kein kreativer Prozess von KI „unberührt“ bleibt. Die Frage wird nur sein: Wie gehen wir als Kreative und perspektivisch unsere Gesellschaft mit dieser rasanten Entwicklung um? Klar ist, dass es sicherlich nicht langweilig werden wird.
Das Interview führte Helmut van Rinsum
Simon Graff ist ein Experte für Emerging Technologies wie Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality. Als Berater und Stratege arbeitet er an den Schnittstellen von Technologie, Trends und Use Cases. Im Jahr 2021 gründete er die strategische Innovations-Beratung For Real?! Simon ist seit 2019 auch Vorsitzender des Hamburger XR-Fachverbandes nextReality e.V. sowie Gründer der mit KI geschaffenen Modemarke DNSYS.
Weitere Interviews:
Simon Deluigi: 5 Marketing-KI-Tools im Praxistest
Hartmut Deiwick: Durch KI steigen die Ansprüche der Kunden
Marc Funk: Die Fehlertoleranz liegt exakt bei Null
Künftig wird es kaum einen kreativen Prozess mehr geben, der von Künstlicher Intelligenz unberührt bleibt. Das betont Founder und Emerging Tech Specialist Simon Graff im Interview (Foto). Ein Gespräch über Künstliche Intelligenz als Sparringspartner, seine KI-Modemarke DNSYS, kuriose Facebook-Schlagzeilen und die Frage, wie man bei der rasanten Entwicklung überhaupt noch den Überblick behalten kann.
Über ein Jahr ChatGPT und ein regelrechter Run auf alle möglichen GenAI-Tools: Inwiefern haben die letzten Monate die Arbeit der Kreativen und Agenturen verändert?
Simon Graff: Die Welt der Kreativen und Agenturen ist auf jeden Fall ein gutes Stück schneller geworden. Selten habe ich eine derartige Dynamik erlebt; sobald eine Idee aufkommt, lässt sie sich im Dialog mit ChatGPT weiterspinnen, schnell in konkrete Formen pressen – von der Insta-Caption über Kampagnen-Ideen bis hin zu kompletten Filmskripten. Das kreative Sparring mit einer KI verändert die Branche zusehends, beschleunigt Prozesse in der Kreation. Allerdings ist der Output, bei aller rasanter Geschwindigkeit, auch anfällig in Hinblick auf Redundanz, Bias und Klischees. Er bildet oft eine solide Baseline, ist aber selten „production ready“ Output. Noch kann ein ChatGPT nicht die menschliche Arbeit, die menschliche Kreativität ersetzen, aber sie ist ein mächtige(r) Verbündete(r).
Welche Trends zeichnen sich Deiner Meinung nach Bereich ab?
Graff: Wir werden die kommenden Monate erleben, dass Customization, also individuelle KI-Lösungen, noch gefragter werden. Hierbei geht es in erster Instanz um Kontrolle über die Trainingsdaten sowie den Output. Verschiedene Agenturen offerieren dahingehend bereits Lösungen, auch ein BoschGPT oder dmGPT, die aktuell zumeist intern genutzt werden, werden ihren Weg auf die öffentliche Online-Bühne finden und so die Customer Experience massiv verändern. Der nächste Punkt, der sehr relevant werden wird, ist die weitere Integration von KI-Modellen in bestehende Tools. Hier sind allen voran Microsofts Co-Pilot und Adobes Firefly ein guter Fingerzeig. KI wird bleiben und über gewohnte Tools bzw. digitale Arbeitsumgebungen omnipräsent werden, weil Ihnen in diesem Kontext Vertrauen entgegengebracht wird.
Ist der Job von Kreativen massiv gefährdet?
Graff: Ob und wie gefährdet man als kreative Person ist, hängt, denke ich, von zwei Faktoren ab. Zum einen von der eigenen Stellung im Unternehmen: Wie relevant, außergewöhnlich ist die eigene Arbeit im Vergleich zum Output der KI? Wird mir im Unternehmen eingeräumt, dass ich mich anderen Aufgaben widme als jenen, welche die KI tendenziell übernehmen kann? Kann ich mich weiterentwickeln oder wird mein Job wegrationalisiert? Ich will keine Panik schüren, aber solche Entwicklungen müssen diskutiert werden. Alle Kreativen haben jedoch die Chance, sich auf diese Entwicklung einzulassen und ihre eigenen Fähigkeiten mit der Hilfe von KI auf das nächste Level zu pushen. Außerdem bleibe dabei: Auf absehbare Zeit wird der Mensch als Kurator eine integrale Rolle spielen. Nur über die Expertise-basierte Bewertung lässt sich durchschnittlicher von brauchbarem KI-Output unterscheiden und gezielt weiterentwickeln.
Die Tool-Landschaft wird weiter rasant wachsen. Wie kann man da noch den Überblick behalten?
Graff: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Für einen generellen Überblick würde ich empfehlen, einige gut kuratierte KI-Newslettern zu abonnieren. Ich mag z.B. die AI-Nauten (DE) oder Zain Kahns „Superhuman“ (EN) sehr gerne. Podcasts oder Content-Creator, z.B. auf YouTube oder LinkedIn, können auch tolle Wissensquellen sein. Wer tiefer in die Thematik einsteigen möchte, dem empfehle ich auf Reddit entsprechenden Boards beizutreten – zu OpenAI, Stable Diffusion, Machine Learning etc. Hier geht’s inhaltlich oft ans Eingemachte, vor allem technisch. Sehr faszinierend, wenn auch teilweise überfordernd.
Du hast mithilfe von KI die Modemarke DNSYS entwickelt - von der Kollektion bis hin zum Logo. Was war die Absicht?
Graff: Die Idee zu DNSYS lag schon lange in einer Schublade: Eine eigene, virtuelle Modemarke entwickeln, die es theoretisch auch „in echt“ geben könnte. Als dann Ende letzten Jahres generative KI wie ChatGPT und Midjourney unkompliziert verfügbar war, habe ich mich einfach hingesetzt und die Idee (ChatGPT) und Visualität (Midjourney) weiterentwickelt, eine Geschichte erzählt und anfassbar gemacht. Mein Anspruch ist grundsätzlich, mich mit diesen Technologien aktiv zu beschäftigen, nicht nur drüber zu reden. Praxis statt Theorie, sozusagen. Ich wollte sehen, wie weit ich mit den aktuellen KI-Modellen gehen kann, was die Grenzen sind. Da die Entwicklung so rasant ist, wird es nie langweilig. Wir nehmen mit DNSYS an der AI Fashion Week, einem internationalen KI-Modewettberwerb, teil, experimentieren im Kontext DNYS aber nicht nur mit immer neuen 2D- und Text-Lösungen, sondern auch mit generativer KI in den Feldern Video, 3D, wir bauen Showreels und Showrooms. Es wird nicht langweilig. Letztlich ist DNSYS, inzwischen eine angemeldete Marke, unser KI-Demo-Tape, mit dem wir Kund:innen Lust auf das Thema machen, aber auch klar eingrenzen können, wo aktuelle Potentiale und Limitationen von generativer KI liegen.
Modemarke DNSYS: Demo-Tape für Generative KI (Fotos: Instagram)
Bedeutet das auch, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen immer durchlässiger wird? Weil man durch GenAI in die Lage versetzt wird, beruflich in ganz anderen Bereichen aktiv zu werden? Nach dem Motto: Jeder kann jetzt Marken und Produkte entwickeln, Designer, Komponist und Autor werden?
Graff: Gute Frage! Tendenziell ja, allerdings ist die Wahrheit dahinter dann doch deutlich komplexer. Man kann sich ausprobieren, Ideen entwickeln, aber eine wirkliche Bewertung des Outputs, insbesondere auf professionellem Niveau, fällt ohne Expertise schwer. Ich kann ein generiertes „Foto“ beispielsweise ganz toll finden, echte Profis in dem Feld hätten vielleicht eine ganz andere Meinung dazu. Vielleicht ist das Licht off, die Perspektive, Tiefenschärfe auch. Am Beispiel DNSYS hieße das zum Beispiel, ich kann schöne Bilder generieren, die Outfits sehen toll aus, aber wenn es darum ginge, den Schnitt, die Materialien, kurzum die Realisierbarkeit der Outfits zu bewerten, dann stehe ich dumm da. Davon habe ich keine Ahnung, durch KI werde ich nicht „mal eben“ zum realen Modeschöpfer.
Du bist auch Experte für das Metaverse. Da ist es ein wenig still geworden, weil sich ChatGPT so in den Vordergrund gedrängt hat. Bleibt es bei dieser Rollenverteilung?
Graff: Das ist das faszinierende an Hype-Cycles. Alles wird extrem heiß gekocht und verpufft genauso schnell wieder, sobald der nächste Hype über die Branche(n) hinwegfegt. Ich glaube, in den knapp zehn Jahren, die ich mit immersiven Medien arbeite, wurde VR mindestens fünf Mal gehyped und ist noch viel häufiger von selbsternannten Expert:innen für „tot“ erklärt worden. Insbesondere kurios fand ich die letzten Monate die Schlagzeilen a la „AI killed the Metaverse“ oder „Zuckerberg pivots to AI after pivoting to the Metaverse", als würde es für einen solchen Konzern um ein „entweder-oder“ gehen. Sicherlich, der Buzz der Stunde gehört generativer KI.
Worum geht es beim Metaverse perspektivisch?
Graff: Perspektivisch geht es beim Metaverse um viel mehr, insbesondere, da es kein konkretes Produkt, sondern eine Vision der Kommunikation, basierend auf räumlichem Computing, beschreibt. Einen Ansatz und strategische Ausrichtung, an der so ziemlich alle Big-Tech-Konzerne arbeiten, lediglich unter anderen Labels — und nicht alle so laut wie Meta. Dass diese Vision letztlich von generativer KI überhaupt erst ermöglicht wird, beispielsweise im Bereich Computer Vision, Content Creation oder durch KI-Agenten, wird dabei gern vergessen. Es fehlt in unserer überhitzten Branche oft das Verständnis vom großen Ganzen. Nur wenige schaffen es, die einzelnen Trends mental zu verknüpfen. Isolierte Hypes geben natürlich bessere Headlines: Dass zum Beispiel Zuckerberg nicht nur viel Geld in Metaverse-Forschung „verbrät“, wie gerne getitelt wird, sondern noch viel mehr in KI-Forschung investiert, wird in dem Kontext gerne ignoriert. „Zuckerberg does AI and Metaverse“ macht eben keine gute Schlagzeile.
Abschlussfrage: Wird es Bereich für Kreative geben, wo der Einsatz von KI definitiv keinen Sinn macht?
Graff: Bei der aktuellen Dynamik, und es gibt keine Anzeichen, dass damit bald Schluss wäre, glaube ich ehrlicherweise, dass perspektivisch kein kreativer Prozess von KI „unberührt“ bleibt. Die Frage wird nur sein: Wie gehen wir als Kreative und perspektivisch unsere Gesellschaft mit dieser rasanten Entwicklung um? Klar ist, dass es sicherlich nicht langweilig werden wird.
Das Interview führte Helmut van Rinsum
Simon Graff ist ein Experte für Emerging Technologies wie Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality. Als Berater und Stratege arbeitet er an den Schnittstellen von Technologie, Trends und Use Cases. Im Jahr 2021 gründete er die strategische Innovations-Beratung For Real?! Simon ist seit 2019 auch Vorsitzender des Hamburger XR-Fachverbandes nextReality e.V. sowie Gründer der mit KI geschaffenen Modemarke DNSYS.
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