Die Beraterin und KI-Expertin Verena Fink hat ein Buch geschrieben, das den Mythos "Künstliche Intelligenz" entzaubern soll. Ihre These lautet: Firmen können auch ohne IT-Hintergrund erste KI-Projekte zum Laufen bringen. Im Interview sagt sie: Künstliche Intelligenz bietet gerade für den Mittelstand enorme Chancen. Selbst wenn die Ressourcen nicht üppig sind.
Verena, in Deinem Buch "KI-Projekte - einfach machen" listest Du zahlreiche Einsatzfelder für KI in Marketing, Vertrieb und Service auf: Analyse von Kundenverhalten, dynamische Anpassung der Preise, Personalisierung der Werbung und andere mehr. Viel davon klingt so, als ob es heute schon umgesetzt würde. Richtig oder falsch?
Verena Fink: Richtig, denn KI ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr, sondern Realität. Nach Schätzung von Experten setzen heute schon zwei Drittel aller Industrieunternehmen in Deutschland KI-Verfahren ein, ohne es selbst so zu definieren. An der Schnittstelle zum Kunden in der Verkaufsassistenz, dem Service, etwa über Chatbots oder künstliche Sprachassistenten, sind KI-Anwendungen schon in vielen Branchen im Einsatz.
Angenommen, es wäre eine Priorisierung erwünscht: In welchen Bereichen sollte man KI zuerst einsetzen?
Fink: Viele Unternehmen denken bei KI zuerst an Innovationen und Raketentechnik für einen Vorsprung im Wettbewerb. Was dabei oft unterschätzt wird: egal welcher Anwendungsfall, die Daten zum Training der Algorithmen müssen top sein. Hier gilt "Shit In Shit Out", daher lohnt es sich, KI zunächst zu nutzen, um den Datensalat zu sortieren, also Daten aufzufinden und zu strukturieren. Das schafft die Basis für alle datengetriebenen Optimierungen sowohl im Backend als auch im Frontend an Schnittstellen zu Mitarbeitern und Kunden.
Wo könnte man sich im Gegenzug noch Zeit lassen?
Fink: Ich würde nicht zuerst mit der Artificial General Intelligence starten, also dem Anspruch an eine KI, die wie ein Mensch agieren kann. Wer glaubt, mit einer KI zuerst die Beschwerde-Hotline ersetzen zu können, dem würde ich eher abraten, da Frust auf allen Seiten potenziert wird. Je einfacher der Anwendungsfall, desto besser.
Benötige ich für die KI-Anwendungen zwangsläufig Entwickler und Programmierer im eigenen Haus? Oder kann ich in vielen Fällen auf vorgefertigte Lösungen zugreifen?
Fink: Da nur wenige internes Know-how haben, um eigene KI-Lösungen zu entwickeln, greift ein Großteil der pilotierenden Unternehmen derzeit auf vorgefertigte Lösungen zurück. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ohne große personelle und finanzielle Ressourcen sind intelligente Cloud-Services, ERP-Systeme oder Chatbot-Baukästen eine Möglichkeit, auf KI-Algorithmen zuzugreifen.
Kürzlich hat eine Umfrage gezeigt: Viele KMUs wenden KI nicht an, weil ihnen schlicht der Überblick fehlt. Wie könnte man hier gegensteuern?
Fink: Ja, leider denken auch heute noch viele KMUs „KI ist nur was für die Großen“. Dabei bietet KI gerade für den Mittelstand eine enorm große Chance. Manche trauen sich an den vermeintlichen Elefanten nicht ran und andere machen schlechte Erfahrungen, wenn sie mit dem fettesten Wurm starten. Oft treffen wir in solchen Unternehmen auf komplexe KI-Projekte, die von Technikern verfolgt werden und bald die ganze Organisation überfordern. Dahinter werden einfache Vorhaben vernachlässigt, die schnell Rendite bringen könnten. Mein Tipp für KMUs ist, zum Einstieg die kleinen Themen mit kurzer Projektzeit und einfachen Quick Wins anzugehen in Marketing, Vertrieb oder Service.
Chatbots sind als KI-Anwendung bei Unternehmen recht beliebt. Bei Endkunden aber nur, wenn sie versiert antworten können und nicht gleich bei der ersten Nachfrage versagen. Welche Dialoge sollte ein Bot unbedingt können?
Fink: Um das herauszufinden lohnt es sich, die Kommunikation in dem Kanal zu beobachten, in dem der Bot zum Einsatz kommen soll. Das hilft zu verstehen, welche Arten von Fragen gestellt werden und wie Service-Mitarbeiter darauf reagieren, welche Dialoge erfolgreich verlaufen und warum. So entwickelt sich ein Gefühl für die native Sprache der Kunden, die ein Bot verstehen soll. Welche Fragen treten immer wieder auf, werden ähnlich formuliert und leicht beantwortet? Das sind Dialoge, die ein Bot draufhaben muss. Jeder Fragendialog wird in einzelne Schritte zerlegt, um alle möglichen Aktionen und Formulierungen zu erfassen. Für jeden Dialog wird festgelegt, wann und wie sich der Bot aktiviert und deaktiviert.
Die Rückverfolgung von KI-Entscheidungen ist immer wieder ein Knackpunkt. Vielfach ist von einer Black Box die Rede. Ist es denn tatsächlich immer wichtig, genau zu wissen, warum die KI sich so und nicht anders entschieden hat?
Fink: Wann immer Algorithmen mit großem Datenhunger aktiv sind und Empfehlungen ausspucken, deren Lösungsweg nicht herzuleiten ist, steigt Misstrauen. Die Blackbox zu durchleuchten ist wichtig für Vertrauen, aber einfach ist es nicht. Softwaresysteme, die mit Deep Learning arbeiten, geben Informationen von einer Schicht an die nächste weiter. Je komplexer der Algorithmus, desto weniger können Menschen nachvollziehen, welche Regeln sich das neuronale Netz geschaffen hat. So kann es seinen Lösungsweg nicht mitliefern, was in der Matheklausur klar Punkteabzug geben würde. Was Unternehmen tun können: Transparenz bei ihren internen und externen IT-Partnern einfordern, um Zwischenschritte und Ergebnisse erklären zu können. Sie können mit Visualisierungen von KI-Analysen arbeiten, damit sichtbarer wird, was im Inneren passiert. Es sollten eindeutige Verantwortlichkeiten definiert werden, wann eine Maschine entscheidet, wo ein Mensch interveniert und wer wann Verantwortung trägt. Unternehmen können schon im Training gegen Daten-Bias vorsorgen und neue Rollenmodelle für ein Babysitting der KI-Anwendung im laufenden Betrieb entwickeln.
KI braucht nicht unbedingt viele, aber die richtigen Daten. Sind die richtigen Daten aber nicht immer auch datenschutzsensible Daten? Wie gehe ich als Unternehmen damit um?
Fink: EU-Kommissarin Vestager hat ja kürzlich erst die Losung ausgegeben, die EU zum Datenkontinent Nr. 1 zu machen. Das formuliert einen Anspruch, der Vertrauen bei Nutzern schaffen soll im Umgang mit ihren Daten. Basis der KI bilden nunmal oft Kunden- und Nutzungsdaten, die weit verstreut im Unternehmen vorhanden sind. Mein Tipp für Unternehmen ist, für die Daten-Arbeit die meiste Zeit einzuplanen. Dabei hilft es zu fragen, woran sich erkennen lässt, dass der Pilot erfolgreich war und wie sich das messen ließe? Welche Nutzer kommen im Zielbild vor und welche Datenströme von ihnen oder für sie? Je klarer das Ziel formuliert und die erste Daten-Landkarte skizziert ist, desto leichter fällt es dann, genau die Daten sammeln, die wirklich nötig sind, um die KI mit relevanten Informationen zu füttern. Je besser der Schulterschluss mit den internen Datenschutzexperten, desto sicherer der Weg zu verantwortlicher Datenarbeit.
Bei der Implementierung von KI im Unternehmen stößt man unter Mitarbeitern immer wieder auf Skepsis. Vielfach schwingt die Angst mit, die KI könnte Arbeitsplätze kosten. Wie lässt sich Kollege KI am Arbeitsplatz so einführen, dass er als willkommene Verstärkung und nicht als Gefahr betrachtet wird?
Fink: Ähnlich wie in der Frage von sensiblen Daten hilft auch hier Transparenz dabei, Vorbehalte und Ängste bei Mitarbeitern abzubauen. Ein Teil der Mitarbeiter sieht meist schon die Chancen durch neue Technologien für mehr Innovationskraft oder Entlastung von repetitiven Tätigkeiten. Andere Kollegen sorgen sich um unpersönliche Abfertigung von Kunden oder um den eigenen Arbeitsplatz. Wenn betroffene Mitarbeiter und Nutzer nicht in die Entwicklung eines KI-Projektes involviert sind oder schlecht dazu informiert wird, dann nährt das oft die Gerüchteküche rund um das Monster KI. Wie in allen Projekten braucht es auch hier ein gemeinsames höheres Ziel. Was ist die Vision für den Einsatz von KI? Wie kann sie Mitarbeitern Superkräfte verleihen? Wie genau wird sie eingesetzt und wie verändert das die Arbeit von Kollegen? Was bringt es den Kunden und Nutzern? In der Vorbereitung solcher Positionen hilft es, aus Mitarbeitersicht die unangenehmsten Fragen von Skeptikern und KI-Gegnern zu formulieren. Neben klaren Antworten profitiert die Willkommenskultur auch von Mitgestaltung. Mitarbeiter, die Einfluss auf den Einsatz und die Ergebnisse des KI-Systems nehmen können, erleben sich als Akteure, das schafft Vertrauen.
Wo könnte KI das Marketing regelrecht revolutionieren? Ist das zum Beispiel die exakte Vorhersage des Konsumentenverhaltens?
Fink: We-Chat, der Messenger-Dienst in China, ist für mich ein sehr plakatives Beispiel, das zeigt, wie KI-basierte digitale Assistenten das Marketing auf den Kopf stellen. Für uns werden solche Bots zu Alltags-Assistenten, die aus unserer natürlichen Sprache Eingabebefehle erkennen und umsetzen, für uns einkaufen, Reisen buchen, Geld überweisen, Termine planen oder Licht und Wärme zuhause steuern. Wer uns so gut kennt, kann unser Verhalten vermutlich besser vorhersagen als wir selbst. Sowohl die Google-Suche, als auch Produkt-Empfehlungen auf sozialen Netzwerken werden langfristig überflüssig, wenn der digitale Assistent bessere Empfehlungen aussprechen kann, da er seinen Nutzer deutlich besser kennt. Ich vermute, dass diese KI-Assistenten einen Großteil der Websites und Apps von Unternehmen ersetzen werden. In solchen geschlossenen Systemen entstehen eigene Ökosysteme, die unseren Konsum komplett verändern und die ich als KI-Verantwortlicher an der Kundenschnittstelle kennen will.
Das Interview führte Helmut van Rinsum
Verena Fink ist Gründerin der Strategieberatung Woodpecker Finch GmbH und Advisory Board Member beim kalifornischen IT-Dienstleister DocuSign Inc. Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz in kundennahen Bereichen begleitet sie sowohl in der Beratung als auch als Mitgründerin des US-Start-ups Quorum AI aus San Francisco. Die Expertin für datengetriebene-Business Modelle spricht häufig auf Technologiekonferenzen und schreibt über die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf Unternehmen und Arbeitswelt. Ihre Mission ist es, europäischen Unternehmen Lust auf menschenfreundliche KI-Projekte zu machen, als Gegengewicht zu den großen Internetmonopolen.
Weitere Interviews
Michelle Skodowski: Bots müssen Probleme lösen
Sarah Al Hussaini: Virtuelle Agenten reagieren sofort
Thomas Funke: Crashkurs für AI-Talente aus aller Welt
Die Beraterin und KI-Expertin Verena Fink hat ein Buch geschrieben, das den Mythos "Künstliche Intelligenz" entzaubern soll. Ihre These lautet: Firmen können auch ohne IT-Hintergrund erste KI-Projekte zum Laufen bringen. Im Interview sagt sie: Künstliche Intelligenz bietet gerade für den Mittelstand enorme Chancen. Selbst wenn die Ressourcen nicht üppig sind.
Verena, in Deinem Buch "KI-Projekte - einfach machen" listest Du zahlreiche Einsatzfelder für KI in Marketing, Vertrieb und Service auf: Analyse von Kundenverhalten, dynamische Anpassung der Preise, Personalisierung der Werbung und andere mehr. Viel davon klingt so, als ob es heute schon umgesetzt würde. Richtig oder falsch?
Verena Fink: Richtig, denn KI ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr, sondern Realität. Nach Schätzung von Experten setzen heute schon zwei Drittel aller Industrieunternehmen in Deutschland KI-Verfahren ein, ohne es selbst so zu definieren. An der Schnittstelle zum Kunden in der Verkaufsassistenz, dem Service, etwa über Chatbots oder künstliche Sprachassistenten, sind KI-Anwendungen schon in vielen Branchen im Einsatz.
Angenommen, es wäre eine Priorisierung erwünscht: In welchen Bereichen sollte man KI zuerst einsetzen?
Fink: Viele Unternehmen denken bei KI zuerst an Innovationen und Raketentechnik für einen Vorsprung im Wettbewerb. Was dabei oft unterschätzt wird: egal welcher Anwendungsfall, die Daten zum Training der Algorithmen müssen top sein. Hier gilt "Shit In Shit Out", daher lohnt es sich, KI zunächst zu nutzen, um den Datensalat zu sortieren, also Daten aufzufinden und zu strukturieren. Das schafft die Basis für alle datengetriebenen Optimierungen sowohl im Backend als auch im Frontend an Schnittstellen zu Mitarbeitern und Kunden.
Wo könnte man sich im Gegenzug noch Zeit lassen?
Fink: Ich würde nicht zuerst mit der Artificial General Intelligence starten, also dem Anspruch an eine KI, die wie ein Mensch agieren kann. Wer glaubt, mit einer KI zuerst die Beschwerde-Hotline ersetzen zu können, dem würde ich eher abraten, da Frust auf allen Seiten potenziert wird. Je einfacher der Anwendungsfall, desto besser.
Benötige ich für die KI-Anwendungen zwangsläufig Entwickler und Programmierer im eigenen Haus? Oder kann ich in vielen Fällen auf vorgefertigte Lösungen zugreifen?
Fink: Da nur wenige internes Know-how haben, um eigene KI-Lösungen zu entwickeln, greift ein Großteil der pilotierenden Unternehmen derzeit auf vorgefertigte Lösungen zurück. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ohne große personelle und finanzielle Ressourcen sind intelligente Cloud-Services, ERP-Systeme oder Chatbot-Baukästen eine Möglichkeit, auf KI-Algorithmen zuzugreifen.
Kürzlich hat eine Umfrage gezeigt: Viele KMUs wenden KI nicht an, weil ihnen schlicht der Überblick fehlt. Wie könnte man hier gegensteuern?
Fink: Ja, leider denken auch heute noch viele KMUs „KI ist nur was für die Großen“. Dabei bietet KI gerade für den Mittelstand eine enorm große Chance. Manche trauen sich an den vermeintlichen Elefanten nicht ran und andere machen schlechte Erfahrungen, wenn sie mit dem fettesten Wurm starten. Oft treffen wir in solchen Unternehmen auf komplexe KI-Projekte, die von Technikern verfolgt werden und bald die ganze Organisation überfordern. Dahinter werden einfache Vorhaben vernachlässigt, die schnell Rendite bringen könnten. Mein Tipp für KMUs ist, zum Einstieg die kleinen Themen mit kurzer Projektzeit und einfachen Quick Wins anzugehen in Marketing, Vertrieb oder Service.
Chatbots sind als KI-Anwendung bei Unternehmen recht beliebt. Bei Endkunden aber nur, wenn sie versiert antworten können und nicht gleich bei der ersten Nachfrage versagen. Welche Dialoge sollte ein Bot unbedingt können?
Fink: Um das herauszufinden lohnt es sich, die Kommunikation in dem Kanal zu beobachten, in dem der Bot zum Einsatz kommen soll. Das hilft zu verstehen, welche Arten von Fragen gestellt werden und wie Service-Mitarbeiter darauf reagieren, welche Dialoge erfolgreich verlaufen und warum. So entwickelt sich ein Gefühl für die native Sprache der Kunden, die ein Bot verstehen soll. Welche Fragen treten immer wieder auf, werden ähnlich formuliert und leicht beantwortet? Das sind Dialoge, die ein Bot draufhaben muss. Jeder Fragendialog wird in einzelne Schritte zerlegt, um alle möglichen Aktionen und Formulierungen zu erfassen. Für jeden Dialog wird festgelegt, wann und wie sich der Bot aktiviert und deaktiviert.
Die Rückverfolgung von KI-Entscheidungen ist immer wieder ein Knackpunkt. Vielfach ist von einer Black Box die Rede. Ist es denn tatsächlich immer wichtig, genau zu wissen, warum die KI sich so und nicht anders entschieden hat?
Fink: Wann immer Algorithmen mit großem Datenhunger aktiv sind und Empfehlungen ausspucken, deren Lösungsweg nicht herzuleiten ist, steigt Misstrauen. Die Blackbox zu durchleuchten ist wichtig für Vertrauen, aber einfach ist es nicht. Softwaresysteme, die mit Deep Learning arbeiten, geben Informationen von einer Schicht an die nächste weiter. Je komplexer der Algorithmus, desto weniger können Menschen nachvollziehen, welche Regeln sich das neuronale Netz geschaffen hat. So kann es seinen Lösungsweg nicht mitliefern, was in der Matheklausur klar Punkteabzug geben würde. Was Unternehmen tun können: Transparenz bei ihren internen und externen IT-Partnern einfordern, um Zwischenschritte und Ergebnisse erklären zu können. Sie können mit Visualisierungen von KI-Analysen arbeiten, damit sichtbarer wird, was im Inneren passiert. Es sollten eindeutige Verantwortlichkeiten definiert werden, wann eine Maschine entscheidet, wo ein Mensch interveniert und wer wann Verantwortung trägt. Unternehmen können schon im Training gegen Daten-Bias vorsorgen und neue Rollenmodelle für ein Babysitting der KI-Anwendung im laufenden Betrieb entwickeln.
KI braucht nicht unbedingt viele, aber die richtigen Daten. Sind die richtigen Daten aber nicht immer auch datenschutzsensible Daten? Wie gehe ich als Unternehmen damit um?
Fink: EU-Kommissarin Vestager hat ja kürzlich erst die Losung ausgegeben, die EU zum Datenkontinent Nr. 1 zu machen. Das formuliert einen Anspruch, der Vertrauen bei Nutzern schaffen soll im Umgang mit ihren Daten. Basis der KI bilden nunmal oft Kunden- und Nutzungsdaten, die weit verstreut im Unternehmen vorhanden sind. Mein Tipp für Unternehmen ist, für die Daten-Arbeit die meiste Zeit einzuplanen. Dabei hilft es zu fragen, woran sich erkennen lässt, dass der Pilot erfolgreich war und wie sich das messen ließe? Welche Nutzer kommen im Zielbild vor und welche Datenströme von ihnen oder für sie? Je klarer das Ziel formuliert und die erste Daten-Landkarte skizziert ist, desto leichter fällt es dann, genau die Daten sammeln, die wirklich nötig sind, um die KI mit relevanten Informationen zu füttern. Je besser der Schulterschluss mit den internen Datenschutzexperten, desto sicherer der Weg zu verantwortlicher Datenarbeit.
Bei der Implementierung von KI im Unternehmen stößt man unter Mitarbeitern immer wieder auf Skepsis. Vielfach schwingt die Angst mit, die KI könnte Arbeitsplätze kosten. Wie lässt sich Kollege KI am Arbeitsplatz so einführen, dass er als willkommene Verstärkung und nicht als Gefahr betrachtet wird?
Fink: Ähnlich wie in der Frage von sensiblen Daten hilft auch hier Transparenz dabei, Vorbehalte und Ängste bei Mitarbeitern abzubauen. Ein Teil der Mitarbeiter sieht meist schon die Chancen durch neue Technologien für mehr Innovationskraft oder Entlastung von repetitiven Tätigkeiten. Andere Kollegen sorgen sich um unpersönliche Abfertigung von Kunden oder um den eigenen Arbeitsplatz. Wenn betroffene Mitarbeiter und Nutzer nicht in die Entwicklung eines KI-Projektes involviert sind oder schlecht dazu informiert wird, dann nährt das oft die Gerüchteküche rund um das Monster KI. Wie in allen Projekten braucht es auch hier ein gemeinsames höheres Ziel. Was ist die Vision für den Einsatz von KI? Wie kann sie Mitarbeitern Superkräfte verleihen? Wie genau wird sie eingesetzt und wie verändert das die Arbeit von Kollegen? Was bringt es den Kunden und Nutzern? In der Vorbereitung solcher Positionen hilft es, aus Mitarbeitersicht die unangenehmsten Fragen von Skeptikern und KI-Gegnern zu formulieren. Neben klaren Antworten profitiert die Willkommenskultur auch von Mitgestaltung. Mitarbeiter, die Einfluss auf den Einsatz und die Ergebnisse des KI-Systems nehmen können, erleben sich als Akteure, das schafft Vertrauen.
Wo könnte KI das Marketing regelrecht revolutionieren? Ist das zum Beispiel die exakte Vorhersage des Konsumentenverhaltens?
Fink: We-Chat, der Messenger-Dienst in China, ist für mich ein sehr plakatives Beispiel, das zeigt, wie KI-basierte digitale Assistenten das Marketing auf den Kopf stellen. Für uns werden solche Bots zu Alltags-Assistenten, die aus unserer natürlichen Sprache Eingabebefehle erkennen und umsetzen, für uns einkaufen, Reisen buchen, Geld überweisen, Termine planen oder Licht und Wärme zuhause steuern. Wer uns so gut kennt, kann unser Verhalten vermutlich besser vorhersagen als wir selbst. Sowohl die Google-Suche, als auch Produkt-Empfehlungen auf sozialen Netzwerken werden langfristig überflüssig, wenn der digitale Assistent bessere Empfehlungen aussprechen kann, da er seinen Nutzer deutlich besser kennt. Ich vermute, dass diese KI-Assistenten einen Großteil der Websites und Apps von Unternehmen ersetzen werden. In solchen geschlossenen Systemen entstehen eigene Ökosysteme, die unseren Konsum komplett verändern und die ich als KI-Verantwortlicher an der Kundenschnittstelle kennen will.
Das Interview führte Helmut van Rinsum
Verena Fink ist Gründerin der Strategieberatung Woodpecker Finch GmbH und Advisory Board Member beim kalifornischen IT-Dienstleister DocuSign Inc. Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz in kundennahen Bereichen begleitet sie sowohl in der Beratung als auch als Mitgründerin des US-Start-ups Quorum AI aus San Francisco. Die Expertin für datengetriebene-Business Modelle spricht häufig auf Technologiekonferenzen und schreibt über die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf Unternehmen und Arbeitswelt. Ihre Mission ist es, europäischen Unternehmen Lust auf menschenfreundliche KI-Projekte zu machen, als Gegengewicht zu den großen Internetmonopolen.
Weitere Interviews
Michelle Skodowski: Bots müssen Probleme lösen
Sarah Al Hussaini: Virtuelle Agenten reagieren sofort
Thomas Funke: Crashkurs für AI-Talente aus aller Welt
Die Beraterin und KI-Expertin Verena Fink hat ein Buch geschrieben, das den Mythos "Künstliche Intelligenz" entzaubern soll. Ihre These lautet: Firmen können auch ohne IT-Hintergrund erste KI-Projekte zum Laufen bringen. Im Interview sagt sie: Künstliche Intelligenz bietet gerade für den Mittelstand enorme Chancen. Selbst wenn die Ressourcen nicht üppig sind.
Verena, in Deinem Buch "KI-Projekte - einfach machen" listest Du zahlreiche Einsatzfelder für KI in Marketing, Vertrieb und Service auf: Analyse von Kundenverhalten, dynamische Anpassung der Preise, Personalisierung der Werbung und andere mehr. Viel davon klingt so, als ob es heute schon umgesetzt würde. Richtig oder falsch?
Verena Fink: Richtig, denn KI ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr, sondern Realität. Nach Schätzung von Experten setzen heute schon zwei Drittel aller Industrieunternehmen in Deutschland KI-Verfahren ein, ohne es selbst so zu definieren. An der Schnittstelle zum Kunden in der Verkaufsassistenz, dem Service, etwa über Chatbots oder künstliche Sprachassistenten, sind KI-Anwendungen schon in vielen Branchen im Einsatz.
Angenommen, es wäre eine Priorisierung erwünscht: In welchen Bereichen sollte man KI zuerst einsetzen?
Fink: Viele Unternehmen denken bei KI zuerst an Innovationen und Raketentechnik für einen Vorsprung im Wettbewerb. Was dabei oft unterschätzt wird: egal welcher Anwendungsfall, die Daten zum Training der Algorithmen müssen top sein. Hier gilt "Shit In Shit Out", daher lohnt es sich, KI zunächst zu nutzen, um den Datensalat zu sortieren, also Daten aufzufinden und zu strukturieren. Das schafft die Basis für alle datengetriebenen Optimierungen sowohl im Backend als auch im Frontend an Schnittstellen zu Mitarbeitern und Kunden.
Wo könnte man sich im Gegenzug noch Zeit lassen?
Fink: Ich würde nicht zuerst mit der Artificial General Intelligence starten, also dem Anspruch an eine KI, die wie ein Mensch agieren kann. Wer glaubt, mit einer KI zuerst die Beschwerde-Hotline ersetzen zu können, dem würde ich eher abraten, da Frust auf allen Seiten potenziert wird. Je einfacher der Anwendungsfall, desto besser.
Benötige ich für die KI-Anwendungen zwangsläufig Entwickler und Programmierer im eigenen Haus? Oder kann ich in vielen Fällen auf vorgefertigte Lösungen zugreifen?
Fink: Da nur wenige internes Know-how haben, um eigene KI-Lösungen zu entwickeln, greift ein Großteil der pilotierenden Unternehmen derzeit auf vorgefertigte Lösungen zurück. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ohne große personelle und finanzielle Ressourcen sind intelligente Cloud-Services, ERP-Systeme oder Chatbot-Baukästen eine Möglichkeit, auf KI-Algorithmen zuzugreifen.
Kürzlich hat eine Umfrage gezeigt: Viele KMUs wenden KI nicht an, weil ihnen schlicht der Überblick fehlt. Wie könnte man hier gegensteuern?
Fink: Ja, leider denken auch heute noch viele KMUs „KI ist nur was für die Großen“. Dabei bietet KI gerade für den Mittelstand eine enorm große Chance. Manche trauen sich an den vermeintlichen Elefanten nicht ran und andere machen schlechte Erfahrungen, wenn sie mit dem fettesten Wurm starten. Oft treffen wir in solchen Unternehmen auf komplexe KI-Projekte, die von Technikern verfolgt werden und bald die ganze Organisation überfordern. Dahinter werden einfache Vorhaben vernachlässigt, die schnell Rendite bringen könnten. Mein Tipp für KMUs ist, zum Einstieg die kleinen Themen mit kurzer Projektzeit und einfachen Quick Wins anzugehen in Marketing, Vertrieb oder Service.
Chatbots sind als KI-Anwendung bei Unternehmen recht beliebt. Bei Endkunden aber nur, wenn sie versiert antworten können und nicht gleich bei der ersten Nachfrage versagen. Welche Dialoge sollte ein Bot unbedingt können?
Fink: Um das herauszufinden lohnt es sich, die Kommunikation in dem Kanal zu beobachten, in dem der Bot zum Einsatz kommen soll. Das hilft zu verstehen, welche Arten von Fragen gestellt werden und wie Service-Mitarbeiter darauf reagieren, welche Dialoge erfolgreich verlaufen und warum. So entwickelt sich ein Gefühl für die native Sprache der Kunden, die ein Bot verstehen soll. Welche Fragen treten immer wieder auf, werden ähnlich formuliert und leicht beantwortet? Das sind Dialoge, die ein Bot draufhaben muss. Jeder Fragendialog wird in einzelne Schritte zerlegt, um alle möglichen Aktionen und Formulierungen zu erfassen. Für jeden Dialog wird festgelegt, wann und wie sich der Bot aktiviert und deaktiviert.
Die Rückverfolgung von KI-Entscheidungen ist immer wieder ein Knackpunkt. Vielfach ist von einer Black Box die Rede. Ist es denn tatsächlich immer wichtig, genau zu wissen, warum die KI sich so und nicht anders entschieden hat?
Fink: Wann immer Algorithmen mit großem Datenhunger aktiv sind und Empfehlungen ausspucken, deren Lösungsweg nicht herzuleiten ist, steigt Misstrauen. Die Blackbox zu durchleuchten ist wichtig für Vertrauen, aber einfach ist es nicht. Softwaresysteme, die mit Deep Learning arbeiten, geben Informationen von einer Schicht an die nächste weiter. Je komplexer der Algorithmus, desto weniger können Menschen nachvollziehen, welche Regeln sich das neuronale Netz geschaffen hat. So kann es seinen Lösungsweg nicht mitliefern, was in der Matheklausur klar Punkteabzug geben würde. Was Unternehmen tun können: Transparenz bei ihren internen und externen IT-Partnern einfordern, um Zwischenschritte und Ergebnisse erklären zu können. Sie können mit Visualisierungen von KI-Analysen arbeiten, damit sichtbarer wird, was im Inneren passiert. Es sollten eindeutige Verantwortlichkeiten definiert werden, wann eine Maschine entscheidet, wo ein Mensch interveniert und wer wann Verantwortung trägt. Unternehmen können schon im Training gegen Daten-Bias vorsorgen und neue Rollenmodelle für ein Babysitting der KI-Anwendung im laufenden Betrieb entwickeln.
KI braucht nicht unbedingt viele, aber die richtigen Daten. Sind die richtigen Daten aber nicht immer auch datenschutzsensible Daten? Wie gehe ich als Unternehmen damit um?
Fink: EU-Kommissarin Vestager hat ja kürzlich erst die Losung ausgegeben, die EU zum Datenkontinent Nr. 1 zu machen. Das formuliert einen Anspruch, der Vertrauen bei Nutzern schaffen soll im Umgang mit ihren Daten. Basis der KI bilden nunmal oft Kunden- und Nutzungsdaten, die weit verstreut im Unternehmen vorhanden sind. Mein Tipp für Unternehmen ist, für die Daten-Arbeit die meiste Zeit einzuplanen. Dabei hilft es zu fragen, woran sich erkennen lässt, dass der Pilot erfolgreich war und wie sich das messen ließe? Welche Nutzer kommen im Zielbild vor und welche Datenströme von ihnen oder für sie? Je klarer das Ziel formuliert und die erste Daten-Landkarte skizziert ist, desto leichter fällt es dann, genau die Daten sammeln, die wirklich nötig sind, um die KI mit relevanten Informationen zu füttern. Je besser der Schulterschluss mit den internen Datenschutzexperten, desto sicherer der Weg zu verantwortlicher Datenarbeit.
Bei der Implementierung von KI im Unternehmen stößt man unter Mitarbeitern immer wieder auf Skepsis. Vielfach schwingt die Angst mit, die KI könnte Arbeitsplätze kosten. Wie lässt sich Kollege KI am Arbeitsplatz so einführen, dass er als willkommene Verstärkung und nicht als Gefahr betrachtet wird?
Fink: Ähnlich wie in der Frage von sensiblen Daten hilft auch hier Transparenz dabei, Vorbehalte und Ängste bei Mitarbeitern abzubauen. Ein Teil der Mitarbeiter sieht meist schon die Chancen durch neue Technologien für mehr Innovationskraft oder Entlastung von repetitiven Tätigkeiten. Andere Kollegen sorgen sich um unpersönliche Abfertigung von Kunden oder um den eigenen Arbeitsplatz. Wenn betroffene Mitarbeiter und Nutzer nicht in die Entwicklung eines KI-Projektes involviert sind oder schlecht dazu informiert wird, dann nährt das oft die Gerüchteküche rund um das Monster KI. Wie in allen Projekten braucht es auch hier ein gemeinsames höheres Ziel. Was ist die Vision für den Einsatz von KI? Wie kann sie Mitarbeitern Superkräfte verleihen? Wie genau wird sie eingesetzt und wie verändert das die Arbeit von Kollegen? Was bringt es den Kunden und Nutzern? In der Vorbereitung solcher Positionen hilft es, aus Mitarbeitersicht die unangenehmsten Fragen von Skeptikern und KI-Gegnern zu formulieren. Neben klaren Antworten profitiert die Willkommenskultur auch von Mitgestaltung. Mitarbeiter, die Einfluss auf den Einsatz und die Ergebnisse des KI-Systems nehmen können, erleben sich als Akteure, das schafft Vertrauen.
Wo könnte KI das Marketing regelrecht revolutionieren? Ist das zum Beispiel die exakte Vorhersage des Konsumentenverhaltens?
Fink: We-Chat, der Messenger-Dienst in China, ist für mich ein sehr plakatives Beispiel, das zeigt, wie KI-basierte digitale Assistenten das Marketing auf den Kopf stellen. Für uns werden solche Bots zu Alltags-Assistenten, die aus unserer natürlichen Sprache Eingabebefehle erkennen und umsetzen, für uns einkaufen, Reisen buchen, Geld überweisen, Termine planen oder Licht und Wärme zuhause steuern. Wer uns so gut kennt, kann unser Verhalten vermutlich besser vorhersagen als wir selbst. Sowohl die Google-Suche, als auch Produkt-Empfehlungen auf sozialen Netzwerken werden langfristig überflüssig, wenn der digitale Assistent bessere Empfehlungen aussprechen kann, da er seinen Nutzer deutlich besser kennt. Ich vermute, dass diese KI-Assistenten einen Großteil der Websites und Apps von Unternehmen ersetzen werden. In solchen geschlossenen Systemen entstehen eigene Ökosysteme, die unseren Konsum komplett verändern und die ich als KI-Verantwortlicher an der Kundenschnittstelle kennen will.
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