"KI ist wie die Einführung der Elektrizität"

Interview

5 Minuten

22.04.2022

Portrait von Oliver Mayer

Künstliche Intelligenz ist nicht nur was für die Großen, sondern ein flexibles Werkzeug, das alle Unternehmen möglichst schnell einsetzen sollten. Diese These vertritt Oliver Mayer, Leiter des Spezialisierungsfelds Energie bei Bayern Innovativ (Foto). Er hat zusammen mit Joachim Reinhart, CFO bei Aborsys, und Christian Greiner, Professor an der Hochschule München, ein Buch über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen geschrieben. Im Interview erklärt er, warum KI für das Marketing so wichtig ist und warum Unternehmen nicht zögern sollten, damit zu arbeiten. Und er weist darauf hin, dass der Erfolg eng mit der Datenqualität zusammenhängt. Er sagt: "Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus."

Herr Professor Mayer, Ihr Buch richtet sich an kleinere und mittlere Unternehmen. Es soll sie dazu ermutigen, sich mit KI auseinanderzusetzen und ihnen potenzielle Anwendungsfelder zeigen. Welches ist die Kernbotschaft für KMUs?

Oliver Mayer: KI ist nicht nur etwas für die „Großen“. KI ist ein Werkzeug wie andere Software Tools auch, das besondere Eigenschaften hat. Insbesondere lernende KI-Systeme bieten den Vorteil, dass sie flexibler auf ihre Umgebung reagieren können als fest programmierte Systeme. Man muss damit so wie mit jeder anderen Technologie „am Ball“ bleiben, um nicht am Markt den Anschluss zu verlieren. Eine Besonderheit gibt es noch: Da es hier essenziell auch um Daten und Datenhistorien geht kann man nicht sagen: Das mache ich erst in drei Jahren. Dann fehlen Daten von drei Jahren, die sich nicht aufholen lassen.

Sie beschreiben auch Anwendungsfelder von KI im Marketing. Welche halten Sie für besonders vielversprechend?

Mayer: Die Steuerung der Kundenerlebnisse durch eine gezielte Digitalisierung der Customer Journey. Hier können KI-Systeme einen großen Beitrag leisten. In der Technik gelten physikalische Gesetze, die überall in der Welt gleich sind und großteils direkt beobachtbar. Beim Marketing ist das anders: Hier geht es vor allem beim zentralen Thema Kundenerlebnis um innerpsychische Prozesse, die nicht direkt beobachtbar sind und im Verhalten zum Beispiel lokale und kulturelle Unterschiede ergeben. Daher ist in diesem Bereich der Einsatz von KI-Systemen besonders wertvoll, weil sie viel flexibler auf Menschen reagieren können.

Um im Marketing KI richtig einzusetzen, empfehlen Sie die Analyse der Customer Journey. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten?

Mayer: Die Customer Journey soll helfen, Kundenerlebnisse vom ersten Kontakt mit einem Unternehmen über den Kauf und die Nutzung bis hin zum Wiederkauf zu gestalten. Spontan würde ich folgende Erkenntnisse ableiten:

  • Die Analyse der Customer Journey kann die Prozessschritte und Entscheidungen zeigen, die sinnvoll digitalisiert werden können und welche nicht

  • Die Analyse zeigt, wie die Prozesse im Unternehmen ineinandergreifen sollten, denn die Customer Journey ist bereichsübergreifend.

Die Aha-Momente, was das angeht, sind bei den Teilnehmern in den Workshops, die wir dazu gemacht haben, sowohl groß als auch zahlreich.

Unternehmen setzen im Marketing gerne auch Chatbots ein. Der in Ihrem Buch aufgeführte Dialog mit Meena ist allerdings ernüchternd. Er zeigt, dass wir doch noch an Grenzen stoßen.

Mayer: Das ist richtig. Aber schauen Sie, wie das Internet angefangen hat. Oder das erste iPhone vor 15 Jahren. Da gibt es noch viel Potenzial und die nächsten Generationen sollen ja auch noch etwas zu verbessern haben. Aber man muss dranbleiben, um mithalten zu können und mitzulernen.

Grundlage für den Einsatz von KI sind hochwertige Daten. Warum ist das so wichtig?

Mayer: Eine gut strukturierte und vollständige Datenbasis sorgt dafür, dass die KI richtig trainiert wird und damit gute Entscheidungen trifft. Wenn Daten fehlerhaft sind, kommt es sehr schnell dazu, dass ein KI-System eine Verzerrung entwickelt – ein bekanntes Beispiel ist die Bevorzugung weißer Männer im Bewerbungsprozess, weil das System von den menschlichen Vorbildern gelernt hat. Generell gilt: Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus.

In einem Kapitel widmen Sie sich der „Erklärbaren KI“. Es geht darum, dass Entscheidungen einer KI nachvollziehbar werden. Ist dies entscheidend für eine breite Akzeptanz von KI?

Mayer: In unseren Augen ist die Erklärbarkeit einer Entscheidung ausschlaggebend für die Akzeptanz der Nutzer. Menschen denken in Ursache-Wirkung-Zusammenhängen. Um Entscheidungen von KI-Systemen verstehen zu können, müssen sie für uns Menschen nachvollziehbar sein, also mit Kausalzusammenhängen beschrieben werden können. Die meisten KI-Systeme können das heute noch nicht, sie arbeiten stattdessen mit statistischen Korrelationen und Klassifizierungen. Daher muss man genau wissen, wie KI-Systeme funktionieren, sonst ist das Überlassen von Entscheidungen an KI-Systeme ein Risiko.

Sie beschreiben auch vier Szenarien einer Superintelligenz, die entstehen könnte. Eine davon ist: Der Mensch wird überflüssig, kann die KI nicht mehr kontrollieren. Wie realistisch ist das?

Mayer: Es ist erst einmal ein Szenario. Es soll aufrütteln und es soll, wenn möglich nicht eintreten! Wie realistisch das Szenario ist? Die Basis für die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen sind Daten, Rechenkapazität und Algorithmen. Daten und Rechenkapazität sind reichlich vorhanden, was KI-Systemen noch fehlt, um so leistungsfähig oder noch leistungsfähiger als Menschen zu werden, sind entsprechende Algorithmen. Die können erst in vielen Jahren entdeckt werden – oder morgen. Dazu eine kleine Geschichte: Ernest Rutherford, Anfang des 20. Jahrhunderts der wohl bekannteste Kernphysiker der Welt, hielt 1933 in Leicester bei einer Tagung eine Rede, in der er behauptete, dass jeder, der in der Umwandlung von Atomkernen eine künftige Energiequelle sehe, Unsinn reden würde. Leó Szilárd las am nächsten Morgen den Bericht zur Rede und fing an, darüber nachzudenken. Bei einem Spaziergang kam ihm die Idee zu der durch Neutronen hervorgerufenen nuklearen Kettenreaktion – er hatte den Algorithmus zur Nutzung der Kernenergie in weniger als 24 Stunden gefunden. Das Ergebnis ist bekannt. Wir jedenfalls würden nicht gegen den menschlichen Einfallsreichtum wetten.

Welchen Ratschlag geben Sie mittelständischen Unternehmen, die bislang mit KI eher gefremdelt haben?

Mayer: KI ist eine Technologie. Es ist wie die Einführung der Elektrizität, des Internet, des Smart Phones und dergleichen. Damals wie heute darf man den Einführungszeitpunkt nicht einfach so beliebig nach hinten verschieben. Besonders deutlich wird das daran, dass man die bis zur Einführung nicht erhobenen Daten nicht aufholen kann, also verloren hat.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Oliver Mayer ist Leiter des Bereichs Energie bei der Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg und Professor an der Hochschule München University of Applied Sciences. Seit 2007 beschäftigt er sich mit TRIZ, der Theorie des erfinderischen Problemlösens. Heute ist er einer von zwei TRIZ-Master in Deutschland und einer von vier in Europa. Bei der Bayern Innovativ GmbH arbeitet Oliver Mayer seit 2019. Er leitete dort zunächst den Cluster Energietechnik. Seit 2020 ist er für den Gesamtbereich Energie zuständig. Mayer schloss sein Studium an der Technischen Universität München (TUM) ab und promovierte an der Universität der Bundeswehr in Deutschland zum Dr.-Ing. über solare Wasserförderung.

Weitere Interviews:
David Eberle: "Wir wollen menschliche Gedanken entschlüsseln"
Philipp Derksen: „Visual Intelligence macht Online-Shopping intelligenter“
Felix Schirl: „Clever Personalisierung fällt den Nutzern nicht auf“

"KI ist wie die Einführung der Elektrizität"

Interview

5 Minuten

22.04.2022

Portrait von Oliver Mayer

Künstliche Intelligenz ist nicht nur was für die Großen, sondern ein flexibles Werkzeug, das alle Unternehmen möglichst schnell einsetzen sollten. Diese These vertritt Oliver Mayer, Leiter des Spezialisierungsfelds Energie bei Bayern Innovativ (Foto). Er hat zusammen mit Joachim Reinhart, CFO bei Aborsys, und Christian Greiner, Professor an der Hochschule München, ein Buch über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen geschrieben. Im Interview erklärt er, warum KI für das Marketing so wichtig ist und warum Unternehmen nicht zögern sollten, damit zu arbeiten. Und er weist darauf hin, dass der Erfolg eng mit der Datenqualität zusammenhängt. Er sagt: "Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus."

Herr Professor Mayer, Ihr Buch richtet sich an kleinere und mittlere Unternehmen. Es soll sie dazu ermutigen, sich mit KI auseinanderzusetzen und ihnen potenzielle Anwendungsfelder zeigen. Welches ist die Kernbotschaft für KMUs?

Oliver Mayer: KI ist nicht nur etwas für die „Großen“. KI ist ein Werkzeug wie andere Software Tools auch, das besondere Eigenschaften hat. Insbesondere lernende KI-Systeme bieten den Vorteil, dass sie flexibler auf ihre Umgebung reagieren können als fest programmierte Systeme. Man muss damit so wie mit jeder anderen Technologie „am Ball“ bleiben, um nicht am Markt den Anschluss zu verlieren. Eine Besonderheit gibt es noch: Da es hier essenziell auch um Daten und Datenhistorien geht kann man nicht sagen: Das mache ich erst in drei Jahren. Dann fehlen Daten von drei Jahren, die sich nicht aufholen lassen.

Sie beschreiben auch Anwendungsfelder von KI im Marketing. Welche halten Sie für besonders vielversprechend?

Mayer: Die Steuerung der Kundenerlebnisse durch eine gezielte Digitalisierung der Customer Journey. Hier können KI-Systeme einen großen Beitrag leisten. In der Technik gelten physikalische Gesetze, die überall in der Welt gleich sind und großteils direkt beobachtbar. Beim Marketing ist das anders: Hier geht es vor allem beim zentralen Thema Kundenerlebnis um innerpsychische Prozesse, die nicht direkt beobachtbar sind und im Verhalten zum Beispiel lokale und kulturelle Unterschiede ergeben. Daher ist in diesem Bereich der Einsatz von KI-Systemen besonders wertvoll, weil sie viel flexibler auf Menschen reagieren können.

Um im Marketing KI richtig einzusetzen, empfehlen Sie die Analyse der Customer Journey. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten?

Mayer: Die Customer Journey soll helfen, Kundenerlebnisse vom ersten Kontakt mit einem Unternehmen über den Kauf und die Nutzung bis hin zum Wiederkauf zu gestalten. Spontan würde ich folgende Erkenntnisse ableiten:

  • Die Analyse der Customer Journey kann die Prozessschritte und Entscheidungen zeigen, die sinnvoll digitalisiert werden können und welche nicht

  • Die Analyse zeigt, wie die Prozesse im Unternehmen ineinandergreifen sollten, denn die Customer Journey ist bereichsübergreifend.

Die Aha-Momente, was das angeht, sind bei den Teilnehmern in den Workshops, die wir dazu gemacht haben, sowohl groß als auch zahlreich.

Unternehmen setzen im Marketing gerne auch Chatbots ein. Der in Ihrem Buch aufgeführte Dialog mit Meena ist allerdings ernüchternd. Er zeigt, dass wir doch noch an Grenzen stoßen.

Mayer: Das ist richtig. Aber schauen Sie, wie das Internet angefangen hat. Oder das erste iPhone vor 15 Jahren. Da gibt es noch viel Potenzial und die nächsten Generationen sollen ja auch noch etwas zu verbessern haben. Aber man muss dranbleiben, um mithalten zu können und mitzulernen.

Grundlage für den Einsatz von KI sind hochwertige Daten. Warum ist das so wichtig?

Mayer: Eine gut strukturierte und vollständige Datenbasis sorgt dafür, dass die KI richtig trainiert wird und damit gute Entscheidungen trifft. Wenn Daten fehlerhaft sind, kommt es sehr schnell dazu, dass ein KI-System eine Verzerrung entwickelt – ein bekanntes Beispiel ist die Bevorzugung weißer Männer im Bewerbungsprozess, weil das System von den menschlichen Vorbildern gelernt hat. Generell gilt: Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus.

In einem Kapitel widmen Sie sich der „Erklärbaren KI“. Es geht darum, dass Entscheidungen einer KI nachvollziehbar werden. Ist dies entscheidend für eine breite Akzeptanz von KI?

Mayer: In unseren Augen ist die Erklärbarkeit einer Entscheidung ausschlaggebend für die Akzeptanz der Nutzer. Menschen denken in Ursache-Wirkung-Zusammenhängen. Um Entscheidungen von KI-Systemen verstehen zu können, müssen sie für uns Menschen nachvollziehbar sein, also mit Kausalzusammenhängen beschrieben werden können. Die meisten KI-Systeme können das heute noch nicht, sie arbeiten stattdessen mit statistischen Korrelationen und Klassifizierungen. Daher muss man genau wissen, wie KI-Systeme funktionieren, sonst ist das Überlassen von Entscheidungen an KI-Systeme ein Risiko.

Sie beschreiben auch vier Szenarien einer Superintelligenz, die entstehen könnte. Eine davon ist: Der Mensch wird überflüssig, kann die KI nicht mehr kontrollieren. Wie realistisch ist das?

Mayer: Es ist erst einmal ein Szenario. Es soll aufrütteln und es soll, wenn möglich nicht eintreten! Wie realistisch das Szenario ist? Die Basis für die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen sind Daten, Rechenkapazität und Algorithmen. Daten und Rechenkapazität sind reichlich vorhanden, was KI-Systemen noch fehlt, um so leistungsfähig oder noch leistungsfähiger als Menschen zu werden, sind entsprechende Algorithmen. Die können erst in vielen Jahren entdeckt werden – oder morgen. Dazu eine kleine Geschichte: Ernest Rutherford, Anfang des 20. Jahrhunderts der wohl bekannteste Kernphysiker der Welt, hielt 1933 in Leicester bei einer Tagung eine Rede, in der er behauptete, dass jeder, der in der Umwandlung von Atomkernen eine künftige Energiequelle sehe, Unsinn reden würde. Leó Szilárd las am nächsten Morgen den Bericht zur Rede und fing an, darüber nachzudenken. Bei einem Spaziergang kam ihm die Idee zu der durch Neutronen hervorgerufenen nuklearen Kettenreaktion – er hatte den Algorithmus zur Nutzung der Kernenergie in weniger als 24 Stunden gefunden. Das Ergebnis ist bekannt. Wir jedenfalls würden nicht gegen den menschlichen Einfallsreichtum wetten.

Welchen Ratschlag geben Sie mittelständischen Unternehmen, die bislang mit KI eher gefremdelt haben?

Mayer: KI ist eine Technologie. Es ist wie die Einführung der Elektrizität, des Internet, des Smart Phones und dergleichen. Damals wie heute darf man den Einführungszeitpunkt nicht einfach so beliebig nach hinten verschieben. Besonders deutlich wird das daran, dass man die bis zur Einführung nicht erhobenen Daten nicht aufholen kann, also verloren hat.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Oliver Mayer ist Leiter des Bereichs Energie bei der Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg und Professor an der Hochschule München University of Applied Sciences. Seit 2007 beschäftigt er sich mit TRIZ, der Theorie des erfinderischen Problemlösens. Heute ist er einer von zwei TRIZ-Master in Deutschland und einer von vier in Europa. Bei der Bayern Innovativ GmbH arbeitet Oliver Mayer seit 2019. Er leitete dort zunächst den Cluster Energietechnik. Seit 2020 ist er für den Gesamtbereich Energie zuständig. Mayer schloss sein Studium an der Technischen Universität München (TUM) ab und promovierte an der Universität der Bundeswehr in Deutschland zum Dr.-Ing. über solare Wasserförderung.

Weitere Interviews:
David Eberle: "Wir wollen menschliche Gedanken entschlüsseln"
Philipp Derksen: „Visual Intelligence macht Online-Shopping intelligenter“
Felix Schirl: „Clever Personalisierung fällt den Nutzern nicht auf“

"KI ist wie die Einführung der Elektrizität"

Interview

5 Minuten

22.04.2022

Portrait von Oliver Mayer

Künstliche Intelligenz ist nicht nur was für die Großen, sondern ein flexibles Werkzeug, das alle Unternehmen möglichst schnell einsetzen sollten. Diese These vertritt Oliver Mayer, Leiter des Spezialisierungsfelds Energie bei Bayern Innovativ (Foto). Er hat zusammen mit Joachim Reinhart, CFO bei Aborsys, und Christian Greiner, Professor an der Hochschule München, ein Buch über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen geschrieben. Im Interview erklärt er, warum KI für das Marketing so wichtig ist und warum Unternehmen nicht zögern sollten, damit zu arbeiten. Und er weist darauf hin, dass der Erfolg eng mit der Datenqualität zusammenhängt. Er sagt: "Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus."

Herr Professor Mayer, Ihr Buch richtet sich an kleinere und mittlere Unternehmen. Es soll sie dazu ermutigen, sich mit KI auseinanderzusetzen und ihnen potenzielle Anwendungsfelder zeigen. Welches ist die Kernbotschaft für KMUs?

Oliver Mayer: KI ist nicht nur etwas für die „Großen“. KI ist ein Werkzeug wie andere Software Tools auch, das besondere Eigenschaften hat. Insbesondere lernende KI-Systeme bieten den Vorteil, dass sie flexibler auf ihre Umgebung reagieren können als fest programmierte Systeme. Man muss damit so wie mit jeder anderen Technologie „am Ball“ bleiben, um nicht am Markt den Anschluss zu verlieren. Eine Besonderheit gibt es noch: Da es hier essenziell auch um Daten und Datenhistorien geht kann man nicht sagen: Das mache ich erst in drei Jahren. Dann fehlen Daten von drei Jahren, die sich nicht aufholen lassen.

Sie beschreiben auch Anwendungsfelder von KI im Marketing. Welche halten Sie für besonders vielversprechend?

Mayer: Die Steuerung der Kundenerlebnisse durch eine gezielte Digitalisierung der Customer Journey. Hier können KI-Systeme einen großen Beitrag leisten. In der Technik gelten physikalische Gesetze, die überall in der Welt gleich sind und großteils direkt beobachtbar. Beim Marketing ist das anders: Hier geht es vor allem beim zentralen Thema Kundenerlebnis um innerpsychische Prozesse, die nicht direkt beobachtbar sind und im Verhalten zum Beispiel lokale und kulturelle Unterschiede ergeben. Daher ist in diesem Bereich der Einsatz von KI-Systemen besonders wertvoll, weil sie viel flexibler auf Menschen reagieren können.

Um im Marketing KI richtig einzusetzen, empfehlen Sie die Analyse der Customer Journey. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus ableiten?

Mayer: Die Customer Journey soll helfen, Kundenerlebnisse vom ersten Kontakt mit einem Unternehmen über den Kauf und die Nutzung bis hin zum Wiederkauf zu gestalten. Spontan würde ich folgende Erkenntnisse ableiten:

  • Die Analyse der Customer Journey kann die Prozessschritte und Entscheidungen zeigen, die sinnvoll digitalisiert werden können und welche nicht

  • Die Analyse zeigt, wie die Prozesse im Unternehmen ineinandergreifen sollten, denn die Customer Journey ist bereichsübergreifend.

Die Aha-Momente, was das angeht, sind bei den Teilnehmern in den Workshops, die wir dazu gemacht haben, sowohl groß als auch zahlreich.

Unternehmen setzen im Marketing gerne auch Chatbots ein. Der in Ihrem Buch aufgeführte Dialog mit Meena ist allerdings ernüchternd. Er zeigt, dass wir doch noch an Grenzen stoßen.

Mayer: Das ist richtig. Aber schauen Sie, wie das Internet angefangen hat. Oder das erste iPhone vor 15 Jahren. Da gibt es noch viel Potenzial und die nächsten Generationen sollen ja auch noch etwas zu verbessern haben. Aber man muss dranbleiben, um mithalten zu können und mitzulernen.

Grundlage für den Einsatz von KI sind hochwertige Daten. Warum ist das so wichtig?

Mayer: Eine gut strukturierte und vollständige Datenbasis sorgt dafür, dass die KI richtig trainiert wird und damit gute Entscheidungen trifft. Wenn Daten fehlerhaft sind, kommt es sehr schnell dazu, dass ein KI-System eine Verzerrung entwickelt – ein bekanntes Beispiel ist die Bevorzugung weißer Männer im Bewerbungsprozess, weil das System von den menschlichen Vorbildern gelernt hat. Generell gilt: Wer Datenmüll in ein System kippt, der bekommt auch wieder Müll heraus.

In einem Kapitel widmen Sie sich der „Erklärbaren KI“. Es geht darum, dass Entscheidungen einer KI nachvollziehbar werden. Ist dies entscheidend für eine breite Akzeptanz von KI?

Mayer: In unseren Augen ist die Erklärbarkeit einer Entscheidung ausschlaggebend für die Akzeptanz der Nutzer. Menschen denken in Ursache-Wirkung-Zusammenhängen. Um Entscheidungen von KI-Systemen verstehen zu können, müssen sie für uns Menschen nachvollziehbar sein, also mit Kausalzusammenhängen beschrieben werden können. Die meisten KI-Systeme können das heute noch nicht, sie arbeiten stattdessen mit statistischen Korrelationen und Klassifizierungen. Daher muss man genau wissen, wie KI-Systeme funktionieren, sonst ist das Überlassen von Entscheidungen an KI-Systeme ein Risiko.

Sie beschreiben auch vier Szenarien einer Superintelligenz, die entstehen könnte. Eine davon ist: Der Mensch wird überflüssig, kann die KI nicht mehr kontrollieren. Wie realistisch ist das?

Mayer: Es ist erst einmal ein Szenario. Es soll aufrütteln und es soll, wenn möglich nicht eintreten! Wie realistisch das Szenario ist? Die Basis für die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen sind Daten, Rechenkapazität und Algorithmen. Daten und Rechenkapazität sind reichlich vorhanden, was KI-Systemen noch fehlt, um so leistungsfähig oder noch leistungsfähiger als Menschen zu werden, sind entsprechende Algorithmen. Die können erst in vielen Jahren entdeckt werden – oder morgen. Dazu eine kleine Geschichte: Ernest Rutherford, Anfang des 20. Jahrhunderts der wohl bekannteste Kernphysiker der Welt, hielt 1933 in Leicester bei einer Tagung eine Rede, in der er behauptete, dass jeder, der in der Umwandlung von Atomkernen eine künftige Energiequelle sehe, Unsinn reden würde. Leó Szilárd las am nächsten Morgen den Bericht zur Rede und fing an, darüber nachzudenken. Bei einem Spaziergang kam ihm die Idee zu der durch Neutronen hervorgerufenen nuklearen Kettenreaktion – er hatte den Algorithmus zur Nutzung der Kernenergie in weniger als 24 Stunden gefunden. Das Ergebnis ist bekannt. Wir jedenfalls würden nicht gegen den menschlichen Einfallsreichtum wetten.

Welchen Ratschlag geben Sie mittelständischen Unternehmen, die bislang mit KI eher gefremdelt haben?

Mayer: KI ist eine Technologie. Es ist wie die Einführung der Elektrizität, des Internet, des Smart Phones und dergleichen. Damals wie heute darf man den Einführungszeitpunkt nicht einfach so beliebig nach hinten verschieben. Besonders deutlich wird das daran, dass man die bis zur Einführung nicht erhobenen Daten nicht aufholen kann, also verloren hat.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Oliver Mayer ist Leiter des Bereichs Energie bei der Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg und Professor an der Hochschule München University of Applied Sciences. Seit 2007 beschäftigt er sich mit TRIZ, der Theorie des erfinderischen Problemlösens. Heute ist er einer von zwei TRIZ-Master in Deutschland und einer von vier in Europa. Bei der Bayern Innovativ GmbH arbeitet Oliver Mayer seit 2019. Er leitete dort zunächst den Cluster Energietechnik. Seit 2020 ist er für den Gesamtbereich Energie zuständig. Mayer schloss sein Studium an der Technischen Universität München (TUM) ab und promovierte an der Universität der Bundeswehr in Deutschland zum Dr.-Ing. über solare Wasserförderung.

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