Sebastian Callies: Zwischen Beats und Bots – Warum Marken jetzt Charakter zeigen müssen

Sebastian Callies: Zwischen Beats und Bots – Warum Marken jetzt Charakter zeigen müssen

Interview

5 Minuten

28.05.2025

Sebastian Callies
Sebastian Callies
Sebastian Callies

Was passiert, wenn ein Markenstratege nachts schweißgebadet aufwacht – wegen ChatGPT? Sebastian Callies, Co-Founder der Agentur Callies & Schewe, ist genau das passiert. Daraufhin hat er ein Buch über KI geschrieben. Keine dystopische Story, sondern eine mitreißende, gleichzeitig aufmunternde Analyse über den aktuellen kreativen Ausnahmezustand. Im Interview sagt er: "Wer jetzt keine Kante zeigt, wird vom Einheitsrauschen verschluckt." Und: "Die eigentliche Arbeit beginnt nach dem Prompt."

Sebastian, gleich im ersten Kapitel schilderst Du eine Szene, in der Du nachts aufwachst und an das Ende Deiner Agentur denkst. Grund ist eine neue Version von ChatGPT, deren Fähigkeiten eine ganze Branche zu bedrohen scheinen. Was ging Dir damals durch den Kopf?

Wir sind Zeugen einer tektonischen Verschiebung. Sie ist vergleichbar mit dem Internet, nur um ein Vielfaches schneller und tiefgreifender. Die Szene im Buch ist dramaturgisch zugespitzt, aber der Moment war real. Als Unternehmer brauchst du eine gewisse produktive Paranoia. Irgendwo will dir immer jemand deinen Marktanteil wegnehmen. Gleichzeitig packte mich sofort die Neugier. Ich lerne am besten mit Themen, die mich begeistern – beruflich ist das Markenentwicklung und privat die Musikproduktion. Also habe ich mich reingefuchst: Prozesse analysiert, eigene Tools gebaut, mit Prompts experimentiert, Beats produziert. Es war intensiv, aber extrem lehrreich. Das möchte ich weitergeben.

Wie siehst Du das heute im Rückblick? Was sind die gravierendsten Änderungen?

Die KI-Revolution belohnt Erfahrung. Der Mensch mit dem tiefsten Verständnis seines Fachs gewinnt, egal welche Technologie er einsetzt. Nach zwei Jahren mit generativer KI bewegt sich unser Arbeitsniveau auf einem völlig anderen Level. Kreative machen größere gedankliche Sprünge, entwickeln originellere Ideen und arbeiten mit mehr Freude. KI allein bringt wenig. Entscheidend bleibt der Mensch.

An anderer Stelle schreibst Du: Bullshit-Jobs verschwinden. Richtig oder Wunschdenken?

Die Ära der Prozessverwaltung endet, die Zeit der Prozessgestaltung beginnt. Der provokante Begriff „Bullshit-Jobs“ stammt von David Graeber. Es geht um Tätigkeiten, die existieren, ohne großen Wert zu schaffen. Vieles davon ist Fleißarbeit, die automatisierbar wird. Das passiert langsamer als manche erwarten, aber kommen wird es. Schon jetzt müssen wir uns daher dringend auf das konzentrieren, was uns Menschen auszeichnet: Urteilskraft, Verantwortung, Empathie und inneren Antrieb.

"Wir leben in einer Science-Fiction-Welt"

Dein Buch liest sich wie eine Aufforderung, die neuen Herausforderungen mit Neugier anzugehen. Würdest Du dem zustimmen?

Die KI-Revolution belohnt die Erfahrenen – vorausgesetzt, sie verlassen ihre Komfortzone. Neugier ist der Schlüssel. Lasst uns das Staunen wiederentdecken! Wir leben in einer Science-Fiction-Welt und bemerken es kaum. Das gesamte Wissen der Menschheit liegt vor uns. Diese neue Zugänglichkeit verändert alles. Aber sie warnt uns zugleich: Wer nur verwaltet, wird verwaltet. Wer wartet, wird irgendwann ersetzt.

Wir brauchen daher zwei Bewegungen zugleich: Die Erfahrenen – oft über 40, mit Jahrzehnten an Wissen – müssen wieder aufbrechen. Sie gestalten den Wandel mit menschlichem Augenmaß und haben jetzt eine riesige Chance für den zweiten Teil ihrer Karriere. Die Jüngeren wiederum müssen echte Erfahrungen sammeln – selbst gestalten und eigene Fehler machen. Beides hilft, die gewaltige neue Technologie für unsere Gesellschaft sinnvoll einzusetzen.

Du hast auch einen Readiness-Check für den Umgang mit KI formuliert. Warum?

Die KI-Debatte kommt oft vom Weg ab. Sie kreist um Technik statt um uns selbst und unsere Entscheidungskraft. KI spiegelt, wer wir sind. Wer mit ihr arbeitet, verantwortet Resultate, Wirkung und Qualität. Der Readiness-Check ordnet ein: Nutze ich KI sinnvoll oder delegiere ich blindlings? Wir müssen wissen, wann wir selbst denken sollten und wie wir die Maschine dazu bringen, uns besser zu dienen – oder wann wir jemanden beauftragen, der in seinem Fachgebiet mit der Maschine besser umgehen kann als wir.

Welche Kernbotschaften sind Dir sonst wichtig?

Das Paradox unserer Zeit: Je mehr technisch machbar wird, desto wichtiger wird menschliches Urteilsvermögen. Erfahrung wird zum Hebel. Wer Dinge einordnen kann, Unterschiede erkennt und Entscheidungen trifft, gibt generativer KI eine Richtung. Ich wünsche mir weniger Tool-Diskussionen, mehr Fokus auf das Ziel: Was will ich eigentlich erreichen? Was bleibt relevant? Wenn prinzipiell alles machbar ist, wird es entscheidend zu wissen, was man sein lässt. Das ist das neue Maß für Professionalität.

Beim Verfassen des Buchs war KI für Sebastian ein wichtiger Sparringspartner

Wie siehst Du die weitere Entwicklung von KI für die Marketingbranche?

Die Gleichförmigkeit nimmt zu – und gleichzeitig die Chance auf radikale Differenzierung. Drei Entwicklungen prägen die Zukunft: Erstens gewinnt echte Strategie. Viele bisherige so genannte Strategien waren Konsenspapiere. Jetzt braucht es Entscheidungen, Mut zur Kante, Klarheit. Zweitens dominiert Kuratierung. In unserer Agentur entstehen oft mehrere hundert konkretisierte Ideen, bevor wir zwei oder drei Entwürfe ausarbeiten. Die eigentliche Arbeit beginnt nach dem Prompt. Drittens brauchen Marken Charakter. Die KI-Flut macht alles gleich. Auffallen erfordert klare Themen, echten Stil, einen markanten Auftritt. Finde heute mal einen originellen Gedanken, der nirgendwo gepostet wurde…

"Wir setzen auf Experience Natives"

Wo hat KI Deine Agentur verändert?

KI hat unsere Motivation und Kreativkultur revolutioniert, weniger unsere Prozesse. Sie hat unser Denken transformiert. Wir arbeiten offener, experimentierfreudiger, lernbereiter. Im Team spürt man Aufbruchsstimmung. Wir gestalten, probieren aus, entwickeln weiter. Die Lust auf Neues durchdringt alle Abteilungen. Wir setzen stärker auf „Experience Natives" – Menschen mit Erfahrung, mit Markengespür und dem strategischen Blick aufs Ganze. Dazu bauen wir eigene Tools, experimentieren mit neuen Formaten, entwickeln Marken mit völlig neuer Dynamik. Kurz: Wir haben Lust auf Morgen.

Ganz ehrlich: Wo hat Dir KI beim Verfassen des Buches geholfen?

Allein die Formulierung der Frage klingt schon so, als müsste man sich rechtfertigen. Dabei ist KI längst Teil zeitgemäßer Arbeit. Sie war mein Sparringspartner beim Strukturieren, beim Überprüfen von Argumenten und beim Feilen an Formulierungen. Wie ein erstklassiger Lektor, der neben mir sitzt. Allerdings schreibe ich seit meinem zehnten Lebensjahr täglich mit Liebe und Begeisterung. Es gibt keine Veranlassung, warum ich mir dieses Vergnügen von einem künstlichen neuronalen Netz nehmen lassen sollte.

Interview: Helmut van Rinsum

Sebastian Callies wollte als Student mit seiner Band durchstarten. Hat nicht geklappt. Heute ist er Unternehmer und Mitgründer der Markenagentur Callies & Schewe. Seit 2008 berät er börsennotierte Konzerne und Hidden Champions in der B2B-Kommunikation: strategisch, kreativ und international. Er schreibt gelegentlich Bücher – Schubkraft: Die neue Intelligenz aus Erfahrung und KI ist sein zweites, nach Deutungshoheit (2020). Im Podcast Die Zukunft der Kreativität spricht er mit klugen Menschen über Ideen, Technik und den ganzen Rest. Musik produziert er inzwischen auch wieder, aber vor allem zum Spaß.

Sebastian, gleich im ersten Kapitel schilderst Du eine Szene, in der Du nachts aufwachst und an das Ende Deiner Agentur denkst. Grund ist eine neue Version von ChatGPT, deren Fähigkeiten eine ganze Branche zu bedrohen scheinen. Was ging Dir damals durch den Kopf?

Wir sind Zeugen einer tektonischen Verschiebung. Sie ist vergleichbar mit dem Internet, nur um ein Vielfaches schneller und tiefgreifender. Die Szene im Buch ist dramaturgisch zugespitzt, aber der Moment war real. Als Unternehmer brauchst du eine gewisse produktive Paranoia. Irgendwo will dir immer jemand deinen Marktanteil wegnehmen. Gleichzeitig packte mich sofort die Neugier. Ich lerne am besten mit Themen, die mich begeistern – beruflich ist das Markenentwicklung und privat die Musikproduktion. Also habe ich mich reingefuchst: Prozesse analysiert, eigene Tools gebaut, mit Prompts experimentiert, Beats produziert. Es war intensiv, aber extrem lehrreich. Das möchte ich weitergeben.

Wie siehst Du das heute im Rückblick? Was sind die gravierendsten Änderungen?

Die KI-Revolution belohnt Erfahrung. Der Mensch mit dem tiefsten Verständnis seines Fachs gewinnt, egal welche Technologie er einsetzt. Nach zwei Jahren mit generativer KI bewegt sich unser Arbeitsniveau auf einem völlig anderen Level. Kreative machen größere gedankliche Sprünge, entwickeln originellere Ideen und arbeiten mit mehr Freude. KI allein bringt wenig. Entscheidend bleibt der Mensch.

An anderer Stelle schreibst Du: Bullshit-Jobs verschwinden. Richtig oder Wunschdenken?

Die Ära der Prozessverwaltung endet, die Zeit der Prozessgestaltung beginnt. Der provokante Begriff „Bullshit-Jobs“ stammt von David Graeber. Es geht um Tätigkeiten, die existieren, ohne großen Wert zu schaffen. Vieles davon ist Fleißarbeit, die automatisierbar wird. Das passiert langsamer als manche erwarten, aber kommen wird es. Schon jetzt müssen wir uns daher dringend auf das konzentrieren, was uns Menschen auszeichnet: Urteilskraft, Verantwortung, Empathie und inneren Antrieb.

"Wir leben in einer Science-Fiction-Welt"

Dein Buch liest sich wie eine Aufforderung, die neuen Herausforderungen mit Neugier anzugehen. Würdest Du dem zustimmen?

Die KI-Revolution belohnt die Erfahrenen – vorausgesetzt, sie verlassen ihre Komfortzone. Neugier ist der Schlüssel. Lasst uns das Staunen wiederentdecken! Wir leben in einer Science-Fiction-Welt und bemerken es kaum. Das gesamte Wissen der Menschheit liegt vor uns. Diese neue Zugänglichkeit verändert alles. Aber sie warnt uns zugleich: Wer nur verwaltet, wird verwaltet. Wer wartet, wird irgendwann ersetzt.

Wir brauchen daher zwei Bewegungen zugleich: Die Erfahrenen – oft über 40, mit Jahrzehnten an Wissen – müssen wieder aufbrechen. Sie gestalten den Wandel mit menschlichem Augenmaß und haben jetzt eine riesige Chance für den zweiten Teil ihrer Karriere. Die Jüngeren wiederum müssen echte Erfahrungen sammeln – selbst gestalten und eigene Fehler machen. Beides hilft, die gewaltige neue Technologie für unsere Gesellschaft sinnvoll einzusetzen.

Du hast auch einen Readiness-Check für den Umgang mit KI formuliert. Warum?

Die KI-Debatte kommt oft vom Weg ab. Sie kreist um Technik statt um uns selbst und unsere Entscheidungskraft. KI spiegelt, wer wir sind. Wer mit ihr arbeitet, verantwortet Resultate, Wirkung und Qualität. Der Readiness-Check ordnet ein: Nutze ich KI sinnvoll oder delegiere ich blindlings? Wir müssen wissen, wann wir selbst denken sollten und wie wir die Maschine dazu bringen, uns besser zu dienen – oder wann wir jemanden beauftragen, der in seinem Fachgebiet mit der Maschine besser umgehen kann als wir.

Welche Kernbotschaften sind Dir sonst wichtig?

Das Paradox unserer Zeit: Je mehr technisch machbar wird, desto wichtiger wird menschliches Urteilsvermögen. Erfahrung wird zum Hebel. Wer Dinge einordnen kann, Unterschiede erkennt und Entscheidungen trifft, gibt generativer KI eine Richtung. Ich wünsche mir weniger Tool-Diskussionen, mehr Fokus auf das Ziel: Was will ich eigentlich erreichen? Was bleibt relevant? Wenn prinzipiell alles machbar ist, wird es entscheidend zu wissen, was man sein lässt. Das ist das neue Maß für Professionalität.

Beim Verfassen des Buchs war KI für Sebastian ein wichtiger Sparringspartner

Wie siehst Du die weitere Entwicklung von KI für die Marketingbranche?

Die Gleichförmigkeit nimmt zu – und gleichzeitig die Chance auf radikale Differenzierung. Drei Entwicklungen prägen die Zukunft: Erstens gewinnt echte Strategie. Viele bisherige so genannte Strategien waren Konsenspapiere. Jetzt braucht es Entscheidungen, Mut zur Kante, Klarheit. Zweitens dominiert Kuratierung. In unserer Agentur entstehen oft mehrere hundert konkretisierte Ideen, bevor wir zwei oder drei Entwürfe ausarbeiten. Die eigentliche Arbeit beginnt nach dem Prompt. Drittens brauchen Marken Charakter. Die KI-Flut macht alles gleich. Auffallen erfordert klare Themen, echten Stil, einen markanten Auftritt. Finde heute mal einen originellen Gedanken, der nirgendwo gepostet wurde…

"Wir setzen auf Experience Natives"

Wo hat KI Deine Agentur verändert?

KI hat unsere Motivation und Kreativkultur revolutioniert, weniger unsere Prozesse. Sie hat unser Denken transformiert. Wir arbeiten offener, experimentierfreudiger, lernbereiter. Im Team spürt man Aufbruchsstimmung. Wir gestalten, probieren aus, entwickeln weiter. Die Lust auf Neues durchdringt alle Abteilungen. Wir setzen stärker auf „Experience Natives" – Menschen mit Erfahrung, mit Markengespür und dem strategischen Blick aufs Ganze. Dazu bauen wir eigene Tools, experimentieren mit neuen Formaten, entwickeln Marken mit völlig neuer Dynamik. Kurz: Wir haben Lust auf Morgen.

Ganz ehrlich: Wo hat Dir KI beim Verfassen des Buches geholfen?

Allein die Formulierung der Frage klingt schon so, als müsste man sich rechtfertigen. Dabei ist KI längst Teil zeitgemäßer Arbeit. Sie war mein Sparringspartner beim Strukturieren, beim Überprüfen von Argumenten und beim Feilen an Formulierungen. Wie ein erstklassiger Lektor, der neben mir sitzt. Allerdings schreibe ich seit meinem zehnten Lebensjahr täglich mit Liebe und Begeisterung. Es gibt keine Veranlassung, warum ich mir dieses Vergnügen von einem künstlichen neuronalen Netz nehmen lassen sollte.

Interview: Helmut van Rinsum

Sebastian Callies wollte als Student mit seiner Band durchstarten. Hat nicht geklappt. Heute ist er Unternehmer und Mitgründer der Markenagentur Callies & Schewe. Seit 2008 berät er börsennotierte Konzerne und Hidden Champions in der B2B-Kommunikation: strategisch, kreativ und international. Er schreibt gelegentlich Bücher – Schubkraft: Die neue Intelligenz aus Erfahrung und KI ist sein zweites, nach Deutungshoheit (2020). Im Podcast Die Zukunft der Kreativität spricht er mit klugen Menschen über Ideen, Technik und den ganzen Rest. Musik produziert er inzwischen auch wieder, aber vor allem zum Spaß.

Sebastian, gleich im ersten Kapitel schilderst Du eine Szene, in der Du nachts aufwachst und an das Ende Deiner Agentur denkst. Grund ist eine neue Version von ChatGPT, deren Fähigkeiten eine ganze Branche zu bedrohen scheinen. Was ging Dir damals durch den Kopf?

Wir sind Zeugen einer tektonischen Verschiebung. Sie ist vergleichbar mit dem Internet, nur um ein Vielfaches schneller und tiefgreifender. Die Szene im Buch ist dramaturgisch zugespitzt, aber der Moment war real. Als Unternehmer brauchst du eine gewisse produktive Paranoia. Irgendwo will dir immer jemand deinen Marktanteil wegnehmen. Gleichzeitig packte mich sofort die Neugier. Ich lerne am besten mit Themen, die mich begeistern – beruflich ist das Markenentwicklung und privat die Musikproduktion. Also habe ich mich reingefuchst: Prozesse analysiert, eigene Tools gebaut, mit Prompts experimentiert, Beats produziert. Es war intensiv, aber extrem lehrreich. Das möchte ich weitergeben.

Wie siehst Du das heute im Rückblick? Was sind die gravierendsten Änderungen?

Die KI-Revolution belohnt Erfahrung. Der Mensch mit dem tiefsten Verständnis seines Fachs gewinnt, egal welche Technologie er einsetzt. Nach zwei Jahren mit generativer KI bewegt sich unser Arbeitsniveau auf einem völlig anderen Level. Kreative machen größere gedankliche Sprünge, entwickeln originellere Ideen und arbeiten mit mehr Freude. KI allein bringt wenig. Entscheidend bleibt der Mensch.

An anderer Stelle schreibst Du: Bullshit-Jobs verschwinden. Richtig oder Wunschdenken?

Die Ära der Prozessverwaltung endet, die Zeit der Prozessgestaltung beginnt. Der provokante Begriff „Bullshit-Jobs“ stammt von David Graeber. Es geht um Tätigkeiten, die existieren, ohne großen Wert zu schaffen. Vieles davon ist Fleißarbeit, die automatisierbar wird. Das passiert langsamer als manche erwarten, aber kommen wird es. Schon jetzt müssen wir uns daher dringend auf das konzentrieren, was uns Menschen auszeichnet: Urteilskraft, Verantwortung, Empathie und inneren Antrieb.

"Wir leben in einer Science-Fiction-Welt"

Dein Buch liest sich wie eine Aufforderung, die neuen Herausforderungen mit Neugier anzugehen. Würdest Du dem zustimmen?

Die KI-Revolution belohnt die Erfahrenen – vorausgesetzt, sie verlassen ihre Komfortzone. Neugier ist der Schlüssel. Lasst uns das Staunen wiederentdecken! Wir leben in einer Science-Fiction-Welt und bemerken es kaum. Das gesamte Wissen der Menschheit liegt vor uns. Diese neue Zugänglichkeit verändert alles. Aber sie warnt uns zugleich: Wer nur verwaltet, wird verwaltet. Wer wartet, wird irgendwann ersetzt.

Wir brauchen daher zwei Bewegungen zugleich: Die Erfahrenen – oft über 40, mit Jahrzehnten an Wissen – müssen wieder aufbrechen. Sie gestalten den Wandel mit menschlichem Augenmaß und haben jetzt eine riesige Chance für den zweiten Teil ihrer Karriere. Die Jüngeren wiederum müssen echte Erfahrungen sammeln – selbst gestalten und eigene Fehler machen. Beides hilft, die gewaltige neue Technologie für unsere Gesellschaft sinnvoll einzusetzen.

Du hast auch einen Readiness-Check für den Umgang mit KI formuliert. Warum?

Die KI-Debatte kommt oft vom Weg ab. Sie kreist um Technik statt um uns selbst und unsere Entscheidungskraft. KI spiegelt, wer wir sind. Wer mit ihr arbeitet, verantwortet Resultate, Wirkung und Qualität. Der Readiness-Check ordnet ein: Nutze ich KI sinnvoll oder delegiere ich blindlings? Wir müssen wissen, wann wir selbst denken sollten und wie wir die Maschine dazu bringen, uns besser zu dienen – oder wann wir jemanden beauftragen, der in seinem Fachgebiet mit der Maschine besser umgehen kann als wir.

Welche Kernbotschaften sind Dir sonst wichtig?

Das Paradox unserer Zeit: Je mehr technisch machbar wird, desto wichtiger wird menschliches Urteilsvermögen. Erfahrung wird zum Hebel. Wer Dinge einordnen kann, Unterschiede erkennt und Entscheidungen trifft, gibt generativer KI eine Richtung. Ich wünsche mir weniger Tool-Diskussionen, mehr Fokus auf das Ziel: Was will ich eigentlich erreichen? Was bleibt relevant? Wenn prinzipiell alles machbar ist, wird es entscheidend zu wissen, was man sein lässt. Das ist das neue Maß für Professionalität.

Beim Verfassen des Buchs war KI für Sebastian ein wichtiger Sparringspartner

Wie siehst Du die weitere Entwicklung von KI für die Marketingbranche?

Die Gleichförmigkeit nimmt zu – und gleichzeitig die Chance auf radikale Differenzierung. Drei Entwicklungen prägen die Zukunft: Erstens gewinnt echte Strategie. Viele bisherige so genannte Strategien waren Konsenspapiere. Jetzt braucht es Entscheidungen, Mut zur Kante, Klarheit. Zweitens dominiert Kuratierung. In unserer Agentur entstehen oft mehrere hundert konkretisierte Ideen, bevor wir zwei oder drei Entwürfe ausarbeiten. Die eigentliche Arbeit beginnt nach dem Prompt. Drittens brauchen Marken Charakter. Die KI-Flut macht alles gleich. Auffallen erfordert klare Themen, echten Stil, einen markanten Auftritt. Finde heute mal einen originellen Gedanken, der nirgendwo gepostet wurde…

"Wir setzen auf Experience Natives"

Wo hat KI Deine Agentur verändert?

KI hat unsere Motivation und Kreativkultur revolutioniert, weniger unsere Prozesse. Sie hat unser Denken transformiert. Wir arbeiten offener, experimentierfreudiger, lernbereiter. Im Team spürt man Aufbruchsstimmung. Wir gestalten, probieren aus, entwickeln weiter. Die Lust auf Neues durchdringt alle Abteilungen. Wir setzen stärker auf „Experience Natives" – Menschen mit Erfahrung, mit Markengespür und dem strategischen Blick aufs Ganze. Dazu bauen wir eigene Tools, experimentieren mit neuen Formaten, entwickeln Marken mit völlig neuer Dynamik. Kurz: Wir haben Lust auf Morgen.

Ganz ehrlich: Wo hat Dir KI beim Verfassen des Buches geholfen?

Allein die Formulierung der Frage klingt schon so, als müsste man sich rechtfertigen. Dabei ist KI längst Teil zeitgemäßer Arbeit. Sie war mein Sparringspartner beim Strukturieren, beim Überprüfen von Argumenten und beim Feilen an Formulierungen. Wie ein erstklassiger Lektor, der neben mir sitzt. Allerdings schreibe ich seit meinem zehnten Lebensjahr täglich mit Liebe und Begeisterung. Es gibt keine Veranlassung, warum ich mir dieses Vergnügen von einem künstlichen neuronalen Netz nehmen lassen sollte.

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Sebastian Callies wollte als Student mit seiner Band durchstarten. Hat nicht geklappt. Heute ist er Unternehmer und Mitgründer der Markenagentur Callies & Schewe. Seit 2008 berät er börsennotierte Konzerne und Hidden Champions in der B2B-Kommunikation: strategisch, kreativ und international. Er schreibt gelegentlich Bücher – Schubkraft: Die neue Intelligenz aus Erfahrung und KI ist sein zweites, nach Deutungshoheit (2020). Im Podcast Die Zukunft der Kreativität spricht er mit klugen Menschen über Ideen, Technik und den ganzen Rest. Musik produziert er inzwischen auch wieder, aber vor allem zum Spaß.

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