Warum Du ChatGPT wie ein Teammitglied behandeln solltest

Interview

8 Minuten

24.07.2024

Foto von Sven Wiesner, Neon Gold

Sven Wiesner hat bereits zahlreiche Unternehmen und Agenturen bei der Einführung von Generativer KI beraten. Einer seiner Tipps: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Ein Gespräch über Hindernisse bei der Einführung, das große ungenutzte Potenzial von KI und den richtigen Umgang mit ChatGPT.

Sven, Du hast viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Digital und Social Media und bist mit Neon Gold Innovations seit längerem auch im KI-Bereich unterwegs. Wie ist denn die Stimmung in Unternehmen und Agenturen gegenüber Künstlicher Intelligenz? Macht sich nach einer ersten Euphorie-Welle langsam Ernüchterung breit?

Sven: Ernüchterung trifft es glaube ich ganz gut. Der Hype rund um generative KI-Tools erinnert mich stark an die damalige Social Media Zeit: Alle wollten ganz dringend eine Facebook-Seite starten. Auf die Frage nach dem Warum hatten nur Wenige eine Antwort. Es fehlte die Strategie dahinter: Was sind die Ziele und was muss getan werden, um sie zu erreichen? Eine ähnliche Situation haben wir gerade wieder. Ich glaube, viele Teams stellen gerade fest, dass es mit einem KI-Workshop und ein paar ChatGPT Lizenzen nicht getan ist. Um KI in die tägliche Arbeit sinnvoll zu integrieren, bedarf es einer eigenen Strategie. 

Sind Unternehmen vielleicht auch mit dem hohen Innovationstempo, das KI an den Tag legt, überfordert?

Sven: Ja, absolut. Viele Teams kämpfen gerade mit ganz anderen Themen, wie etwa schrumpfenden Budgets und unbesetzten Stellen in den eigenen Reihen. Gleichzeitig vergeht eigentlich keine Woche ohne "bahnbrechende" News in der KI-Tools-Landschaft. Das kann schon mal überfordern und FOMO auslösen. Viele Teams, mit denen wir arbeiten, haben das Gefühl: "Wir sind eigentlich viel zu spät dran mit der Einführung von KI". Dabei stimmt das gar nicht und ich würde allen dazu raten, sich die nötige Zeit zu nehmen, um in Ruhe das Thema anzugehen.

Wo sind denn die größten Hürden, wenn es um die Einführung entsprechender Tools geht?

Sven: Das habe ich mich auch gefragt und dazu eine kleine Online-Umfrage gestartet. Daran teilgenommen haben 129 Personen, mehrheitlich aus der Kreativ- und Kommunikationsbranche. Was dabei herauskam, war ganz interessant, denn die Aussagen standen mehrheitlich im direkten Gegensatz. Beispielsweise gaben 85 Prozent der Befragten an, ihr Ziel sei es, zu den KI-Vorreitern in der Branche zu gehören. Aber 72 Prozent sagten auch, sie zögerten noch mit eigenen Initiativen, aus Angst vor Fehlern. Ich glaube bei vielen Teams herrscht gerade eine ähnliche Situation: Auf der einen Seite sehen sie das Potential, mit KI effektiver zu werden und Nervjobs loszuwerden. Auf der anderen Seite sind aber derzeit viele nicht in der Lage, das Hamsterrad in der eigenen Organisation anzuhalten. Daraus entstanden ist die Idee einer 6-wöchigen Masterclass, die ich im September starte.

"Der KI wird oft zu wenig zugetraut"

Eine zentrale Rolle in der Content- und Kommunikationsbranche spielt ChatGPT. Eigentlich arbeitet inzwischen jeder irgendwie damit. Aber: Werden die Potenziale, die in dieser GenAI liegen, wirklich ausgeschöpft?

Sven: Ich glaube, dass derzeit selbst Teams, die intensiv mit ChatGPT arbeiten, höchstens 25 Prozent des Potentials ausschöpfen. Die Schwierigkeit liegt hier vor allem in der Verknüpfung der KI-Fähigkeiten mit konkreten Anwendungsfällen aus der täglichen Arbeit. Wenn ich beispielsweise nicht weiß, dass ChatGPT in der Lage ist, Fragen zu einem dreistündigen Meeting zu beantworten, wenn es das Transkript zu lesen bekommt, dann bleibt die Zusammenarbeit mit dem Kollegen KI auf einem ziemlich flachen Niveau. Oftmals wird der KI auch noch zu wenig zugetraut, oder es wird einfach zu wenig Kontext zur Aufgabe geliefert. Dabei wissen alle, dass gute Briefings der Schlüssel zu guten Ergebnissen sind.

Woran liegt das? Wie könnte der Umgang mit Generativer KI geschult werden?

Sven: Natürlich sind grundlegende Bedientechniken und das richtige Prompting wichtig. Aber entscheidend ist die Art, wie ich als Mensch mit der KI kommuniziere. Der Tipp, den wir zum Start von Workshops immer wieder geben ist: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Schickt dieser Person zunächst alles Wissenswerte rund um die Aufgabe: Jedes PDF, alle Mails und Meetinginhalte. Besprecht im weiteren Verlauf die Zwischenergebnisse, gebt Euch Feedback, stellt schlaue Fragen und arbeitet Euch so gemeinsam zum Ziel vor. Klingt simpel, ist aber nach meinen Beobachtungen immer noch die größte Hürde für viele. Es fühlt sich einfach schräg an, sich mit der Maschine wie mit einem menschlichen Teammitglied auszutauschen.

"KI ersetzt Nervjobs, die viel Zeit fressen"

Was sind denn die sensibelsten Punkte bei der Nutzung von ChatGPT? Und worin besteht Deiner Meinung nach der größte Benefit?

Sven: ChatGPT ist unheimlich stark darin, große Datenmengen in Sekunden zu analysieren und Fragen dazu zu beantworten. Das sind gleichzeitig auch genau die Nervjobs, die sehr viel Zeit im Team fressen und auf die eigentlich niemand Lust hat. Ein Beispiel aus der Praxis: Für ein Team aus der Unternehmenskommunikation haben wir kürzlich einen Assistenten gebaut, der mittels einer Excel-Liste mit mehreren hundert Wörtern beliebige Texte auf "verbotene" Formulierungen zu Produkten checkt. So gelingt ein Abgleich von Texten mit den Vorgaben aus der Produktabteilung, der sonst Stunden dauert, in Sekunden. ChatGPT markiert dabei alle Verstöße gegen die Sprachregeln und liefert sogar alternative Formulierungen. Ein echter Gewinn für das Team. Dadurch ist die Beliebtheit von ChatGPT stark gestiegen.

Noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Rolle wird KI im Marketing übernehmen?

Sven: Ich bin überzeugt davon, dass KI zum Mitglied in jedem Team werden wird. Dank immer leistungsfähigeren Modellen wie aktuell GPT-4o von OpenAI fühlt sich der Austausch immer natürlicher an und die Ergebnisse werden immer besser. Voraussetzung dafür ist das nötige Know-how, um die technischen Möglichkeiten mit einzelnen Arbeitsschritten zu verbinden. Vor allem aber die nötige Offenheit im Team, bestimmte Aufgaben an die KI zu delegieren. Bei kreativen Aufgaben und strategischen Entscheidungen braucht es allerdings nach wie vor die entsprechenden menschlichen Talente. Es geht aber auch gar nicht darum, wer hier wem den Job wegnimmt. Sondern um eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. 

Interview: Helmut van Rinsum

Sven Wiesner hat zusammen mit seinem Partner Pedro Anacker 2010 eine der ersten Social Media Agenturen Deutschlands gegründet. Nach dem Verkauf 2016 an die HAVAS Gruppe gründete er 2018 Neon Gold Innovations. Hier berät er Unternehmen und Agenturen bei der Einführung neuer Technologien. Im KI-Bereich bietet er Workshops, Trainings und aktuell auch eine Masterclass zur Integration von ChatGPT an.

Warum Du ChatGPT wie ein Teammitglied behandeln solltest

Interview

8 Minuten

24.07.2024

Foto von Sven Wiesner, Neon Gold

Sven Wiesner hat bereits zahlreiche Unternehmen und Agenturen bei der Einführung von Generativer KI beraten. Einer seiner Tipps: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Ein Gespräch über Hindernisse bei der Einführung, das große ungenutzte Potenzial von KI und den richtigen Umgang mit ChatGPT.

Sven, Du hast viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Digital und Social Media und bist mit Neon Gold Innovations seit längerem auch im KI-Bereich unterwegs. Wie ist denn die Stimmung in Unternehmen und Agenturen gegenüber Künstlicher Intelligenz? Macht sich nach einer ersten Euphorie-Welle langsam Ernüchterung breit?

Sven: Ernüchterung trifft es glaube ich ganz gut. Der Hype rund um generative KI-Tools erinnert mich stark an die damalige Social Media Zeit: Alle wollten ganz dringend eine Facebook-Seite starten. Auf die Frage nach dem Warum hatten nur Wenige eine Antwort. Es fehlte die Strategie dahinter: Was sind die Ziele und was muss getan werden, um sie zu erreichen? Eine ähnliche Situation haben wir gerade wieder. Ich glaube, viele Teams stellen gerade fest, dass es mit einem KI-Workshop und ein paar ChatGPT Lizenzen nicht getan ist. Um KI in die tägliche Arbeit sinnvoll zu integrieren, bedarf es einer eigenen Strategie. 

Sind Unternehmen vielleicht auch mit dem hohen Innovationstempo, das KI an den Tag legt, überfordert?

Sven: Ja, absolut. Viele Teams kämpfen gerade mit ganz anderen Themen, wie etwa schrumpfenden Budgets und unbesetzten Stellen in den eigenen Reihen. Gleichzeitig vergeht eigentlich keine Woche ohne "bahnbrechende" News in der KI-Tools-Landschaft. Das kann schon mal überfordern und FOMO auslösen. Viele Teams, mit denen wir arbeiten, haben das Gefühl: "Wir sind eigentlich viel zu spät dran mit der Einführung von KI". Dabei stimmt das gar nicht und ich würde allen dazu raten, sich die nötige Zeit zu nehmen, um in Ruhe das Thema anzugehen.

Wo sind denn die größten Hürden, wenn es um die Einführung entsprechender Tools geht?

Sven: Das habe ich mich auch gefragt und dazu eine kleine Online-Umfrage gestartet. Daran teilgenommen haben 129 Personen, mehrheitlich aus der Kreativ- und Kommunikationsbranche. Was dabei herauskam, war ganz interessant, denn die Aussagen standen mehrheitlich im direkten Gegensatz. Beispielsweise gaben 85 Prozent der Befragten an, ihr Ziel sei es, zu den KI-Vorreitern in der Branche zu gehören. Aber 72 Prozent sagten auch, sie zögerten noch mit eigenen Initiativen, aus Angst vor Fehlern. Ich glaube bei vielen Teams herrscht gerade eine ähnliche Situation: Auf der einen Seite sehen sie das Potential, mit KI effektiver zu werden und Nervjobs loszuwerden. Auf der anderen Seite sind aber derzeit viele nicht in der Lage, das Hamsterrad in der eigenen Organisation anzuhalten. Daraus entstanden ist die Idee einer 6-wöchigen Masterclass, die ich im September starte.

"Der KI wird oft zu wenig zugetraut"

Eine zentrale Rolle in der Content- und Kommunikationsbranche spielt ChatGPT. Eigentlich arbeitet inzwischen jeder irgendwie damit. Aber: Werden die Potenziale, die in dieser GenAI liegen, wirklich ausgeschöpft?

Sven: Ich glaube, dass derzeit selbst Teams, die intensiv mit ChatGPT arbeiten, höchstens 25 Prozent des Potentials ausschöpfen. Die Schwierigkeit liegt hier vor allem in der Verknüpfung der KI-Fähigkeiten mit konkreten Anwendungsfällen aus der täglichen Arbeit. Wenn ich beispielsweise nicht weiß, dass ChatGPT in der Lage ist, Fragen zu einem dreistündigen Meeting zu beantworten, wenn es das Transkript zu lesen bekommt, dann bleibt die Zusammenarbeit mit dem Kollegen KI auf einem ziemlich flachen Niveau. Oftmals wird der KI auch noch zu wenig zugetraut, oder es wird einfach zu wenig Kontext zur Aufgabe geliefert. Dabei wissen alle, dass gute Briefings der Schlüssel zu guten Ergebnissen sind.

Woran liegt das? Wie könnte der Umgang mit Generativer KI geschult werden?

Sven: Natürlich sind grundlegende Bedientechniken und das richtige Prompting wichtig. Aber entscheidend ist die Art, wie ich als Mensch mit der KI kommuniziere. Der Tipp, den wir zum Start von Workshops immer wieder geben ist: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Schickt dieser Person zunächst alles Wissenswerte rund um die Aufgabe: Jedes PDF, alle Mails und Meetinginhalte. Besprecht im weiteren Verlauf die Zwischenergebnisse, gebt Euch Feedback, stellt schlaue Fragen und arbeitet Euch so gemeinsam zum Ziel vor. Klingt simpel, ist aber nach meinen Beobachtungen immer noch die größte Hürde für viele. Es fühlt sich einfach schräg an, sich mit der Maschine wie mit einem menschlichen Teammitglied auszutauschen.

"KI ersetzt Nervjobs, die viel Zeit fressen"

Was sind denn die sensibelsten Punkte bei der Nutzung von ChatGPT? Und worin besteht Deiner Meinung nach der größte Benefit?

Sven: ChatGPT ist unheimlich stark darin, große Datenmengen in Sekunden zu analysieren und Fragen dazu zu beantworten. Das sind gleichzeitig auch genau die Nervjobs, die sehr viel Zeit im Team fressen und auf die eigentlich niemand Lust hat. Ein Beispiel aus der Praxis: Für ein Team aus der Unternehmenskommunikation haben wir kürzlich einen Assistenten gebaut, der mittels einer Excel-Liste mit mehreren hundert Wörtern beliebige Texte auf "verbotene" Formulierungen zu Produkten checkt. So gelingt ein Abgleich von Texten mit den Vorgaben aus der Produktabteilung, der sonst Stunden dauert, in Sekunden. ChatGPT markiert dabei alle Verstöße gegen die Sprachregeln und liefert sogar alternative Formulierungen. Ein echter Gewinn für das Team. Dadurch ist die Beliebtheit von ChatGPT stark gestiegen.

Noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Rolle wird KI im Marketing übernehmen?

Sven: Ich bin überzeugt davon, dass KI zum Mitglied in jedem Team werden wird. Dank immer leistungsfähigeren Modellen wie aktuell GPT-4o von OpenAI fühlt sich der Austausch immer natürlicher an und die Ergebnisse werden immer besser. Voraussetzung dafür ist das nötige Know-how, um die technischen Möglichkeiten mit einzelnen Arbeitsschritten zu verbinden. Vor allem aber die nötige Offenheit im Team, bestimmte Aufgaben an die KI zu delegieren. Bei kreativen Aufgaben und strategischen Entscheidungen braucht es allerdings nach wie vor die entsprechenden menschlichen Talente. Es geht aber auch gar nicht darum, wer hier wem den Job wegnimmt. Sondern um eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. 

Interview: Helmut van Rinsum

Sven Wiesner hat zusammen mit seinem Partner Pedro Anacker 2010 eine der ersten Social Media Agenturen Deutschlands gegründet. Nach dem Verkauf 2016 an die HAVAS Gruppe gründete er 2018 Neon Gold Innovations. Hier berät er Unternehmen und Agenturen bei der Einführung neuer Technologien. Im KI-Bereich bietet er Workshops, Trainings und aktuell auch eine Masterclass zur Integration von ChatGPT an.

Warum Du ChatGPT wie ein Teammitglied behandeln solltest

Interview

8 Minuten

24.07.2024

Foto von Sven Wiesner, Neon Gold

Sven Wiesner hat bereits zahlreiche Unternehmen und Agenturen bei der Einführung von Generativer KI beraten. Einer seiner Tipps: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Ein Gespräch über Hindernisse bei der Einführung, das große ungenutzte Potenzial von KI und den richtigen Umgang mit ChatGPT.

Sven, Du hast viele Jahre Erfahrung in den Bereichen Digital und Social Media und bist mit Neon Gold Innovations seit längerem auch im KI-Bereich unterwegs. Wie ist denn die Stimmung in Unternehmen und Agenturen gegenüber Künstlicher Intelligenz? Macht sich nach einer ersten Euphorie-Welle langsam Ernüchterung breit?

Sven: Ernüchterung trifft es glaube ich ganz gut. Der Hype rund um generative KI-Tools erinnert mich stark an die damalige Social Media Zeit: Alle wollten ganz dringend eine Facebook-Seite starten. Auf die Frage nach dem Warum hatten nur Wenige eine Antwort. Es fehlte die Strategie dahinter: Was sind die Ziele und was muss getan werden, um sie zu erreichen? Eine ähnliche Situation haben wir gerade wieder. Ich glaube, viele Teams stellen gerade fest, dass es mit einem KI-Workshop und ein paar ChatGPT Lizenzen nicht getan ist. Um KI in die tägliche Arbeit sinnvoll zu integrieren, bedarf es einer eigenen Strategie. 

Sind Unternehmen vielleicht auch mit dem hohen Innovationstempo, das KI an den Tag legt, überfordert?

Sven: Ja, absolut. Viele Teams kämpfen gerade mit ganz anderen Themen, wie etwa schrumpfenden Budgets und unbesetzten Stellen in den eigenen Reihen. Gleichzeitig vergeht eigentlich keine Woche ohne "bahnbrechende" News in der KI-Tools-Landschaft. Das kann schon mal überfordern und FOMO auslösen. Viele Teams, mit denen wir arbeiten, haben das Gefühl: "Wir sind eigentlich viel zu spät dran mit der Einführung von KI". Dabei stimmt das gar nicht und ich würde allen dazu raten, sich die nötige Zeit zu nehmen, um in Ruhe das Thema anzugehen.

Wo sind denn die größten Hürden, wenn es um die Einführung entsprechender Tools geht?

Sven: Das habe ich mich auch gefragt und dazu eine kleine Online-Umfrage gestartet. Daran teilgenommen haben 129 Personen, mehrheitlich aus der Kreativ- und Kommunikationsbranche. Was dabei herauskam, war ganz interessant, denn die Aussagen standen mehrheitlich im direkten Gegensatz. Beispielsweise gaben 85 Prozent der Befragten an, ihr Ziel sei es, zu den KI-Vorreitern in der Branche zu gehören. Aber 72 Prozent sagten auch, sie zögerten noch mit eigenen Initiativen, aus Angst vor Fehlern. Ich glaube bei vielen Teams herrscht gerade eine ähnliche Situation: Auf der einen Seite sehen sie das Potential, mit KI effektiver zu werden und Nervjobs loszuwerden. Auf der anderen Seite sind aber derzeit viele nicht in der Lage, das Hamsterrad in der eigenen Organisation anzuhalten. Daraus entstanden ist die Idee einer 6-wöchigen Masterclass, die ich im September starte.

"Der KI wird oft zu wenig zugetraut"

Eine zentrale Rolle in der Content- und Kommunikationsbranche spielt ChatGPT. Eigentlich arbeitet inzwischen jeder irgendwie damit. Aber: Werden die Potenziale, die in dieser GenAI liegen, wirklich ausgeschöpft?

Sven: Ich glaube, dass derzeit selbst Teams, die intensiv mit ChatGPT arbeiten, höchstens 25 Prozent des Potentials ausschöpfen. Die Schwierigkeit liegt hier vor allem in der Verknüpfung der KI-Fähigkeiten mit konkreten Anwendungsfällen aus der täglichen Arbeit. Wenn ich beispielsweise nicht weiß, dass ChatGPT in der Lage ist, Fragen zu einem dreistündigen Meeting zu beantworten, wenn es das Transkript zu lesen bekommt, dann bleibt die Zusammenarbeit mit dem Kollegen KI auf einem ziemlich flachen Niveau. Oftmals wird der KI auch noch zu wenig zugetraut, oder es wird einfach zu wenig Kontext zur Aufgabe geliefert. Dabei wissen alle, dass gute Briefings der Schlüssel zu guten Ergebnissen sind.

Woran liegt das? Wie könnte der Umgang mit Generativer KI geschult werden?

Sven: Natürlich sind grundlegende Bedientechniken und das richtige Prompting wichtig. Aber entscheidend ist die Art, wie ich als Mensch mit der KI kommuniziere. Der Tipp, den wir zum Start von Workshops immer wieder geben ist: Redet mit ChatGPT wie mit einer hochqualifizierten Person, die Euch unterstützen möchte, mit der Ihr aber nur per WhatsApp kommunizieren könnt. Schickt dieser Person zunächst alles Wissenswerte rund um die Aufgabe: Jedes PDF, alle Mails und Meetinginhalte. Besprecht im weiteren Verlauf die Zwischenergebnisse, gebt Euch Feedback, stellt schlaue Fragen und arbeitet Euch so gemeinsam zum Ziel vor. Klingt simpel, ist aber nach meinen Beobachtungen immer noch die größte Hürde für viele. Es fühlt sich einfach schräg an, sich mit der Maschine wie mit einem menschlichen Teammitglied auszutauschen.

"KI ersetzt Nervjobs, die viel Zeit fressen"

Was sind denn die sensibelsten Punkte bei der Nutzung von ChatGPT? Und worin besteht Deiner Meinung nach der größte Benefit?

Sven: ChatGPT ist unheimlich stark darin, große Datenmengen in Sekunden zu analysieren und Fragen dazu zu beantworten. Das sind gleichzeitig auch genau die Nervjobs, die sehr viel Zeit im Team fressen und auf die eigentlich niemand Lust hat. Ein Beispiel aus der Praxis: Für ein Team aus der Unternehmenskommunikation haben wir kürzlich einen Assistenten gebaut, der mittels einer Excel-Liste mit mehreren hundert Wörtern beliebige Texte auf "verbotene" Formulierungen zu Produkten checkt. So gelingt ein Abgleich von Texten mit den Vorgaben aus der Produktabteilung, der sonst Stunden dauert, in Sekunden. ChatGPT markiert dabei alle Verstöße gegen die Sprachregeln und liefert sogar alternative Formulierungen. Ein echter Gewinn für das Team. Dadurch ist die Beliebtheit von ChatGPT stark gestiegen.

Noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Rolle wird KI im Marketing übernehmen?

Sven: Ich bin überzeugt davon, dass KI zum Mitglied in jedem Team werden wird. Dank immer leistungsfähigeren Modellen wie aktuell GPT-4o von OpenAI fühlt sich der Austausch immer natürlicher an und die Ergebnisse werden immer besser. Voraussetzung dafür ist das nötige Know-how, um die technischen Möglichkeiten mit einzelnen Arbeitsschritten zu verbinden. Vor allem aber die nötige Offenheit im Team, bestimmte Aufgaben an die KI zu delegieren. Bei kreativen Aufgaben und strategischen Entscheidungen braucht es allerdings nach wie vor die entsprechenden menschlichen Talente. Es geht aber auch gar nicht darum, wer hier wem den Job wegnimmt. Sondern um eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. 

Interview: Helmut van Rinsum

Sven Wiesner hat zusammen mit seinem Partner Pedro Anacker 2010 eine der ersten Social Media Agenturen Deutschlands gegründet. Nach dem Verkauf 2016 an die HAVAS Gruppe gründete er 2018 Neon Gold Innovations. Hier berät er Unternehmen und Agenturen bei der Einführung neuer Technologien. Im KI-Bereich bietet er Workshops, Trainings und aktuell auch eine Masterclass zur Integration von ChatGPT an.

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