Mit KI gegen Produktpiraterie im Web

Interview

5 Minuten

03.08.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Nicole Jasmin Hofmann

Durch Markenmissbrauch und Produktpiraterie entstehen im E-Commerce jährlich Milliardenverluste. Nicole Jasmin Hofmann hat mit Sentryc ein Start-up gegründet, das KI-gestützt das Internet scannt und Plagiate nahezu automatisiert entfernt. Ein Gespräch über Vorlieben der Fälscher, die Treffsicherheit der Software und die Frage, warum das System immer laufen sollte.

Frau Hofmann, die Schäden durch Produkt- und Markenpiraterie sind immens, Umfragen zufolge sind 71 Prozent aller Unternehmen davon betroffen, EU-weit entstehen dadurch jährlich Verluste in Höhe von 60 Milliarden Euro. Trotzdem ergreifen 33 Prozent keine Maßnahmen dagegen.

Hofmann: Das ist tatsächlich der Status Quo. Viele wissen gar nicht, dass es neben internationalen Abkommen und Maßnahmen des Zolls auch digitale Möglichkeiten gibt, diese Entwicklung einzudämmen. Das versuchen wir, den Unternehmen aufzuzeigen.

Ist Ihr Start-up Sentryc mit dieser Dienstleistung allein auf weiter Flur?

Hofmann: Es gibt schon ein paar Mitstreiter im Kampf gegen Markenmissbrauch und Produktpiraterie. Wenn man aber betrachtet, wie viele Anbieter es weltweit in diesem Bereich mit ähnlich digitalen Ansätzen gibt, sind das relativ wenig. Allerdings beobachten wir, dass gerade größere Unternehmen zunehmend eigene Protection-Abteilungen aufbauen. Das bedeutet, die Einsicht, dass man was tun muss, nimmt langsam zu. Viele prüfen gerade, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Es gibt aber auch immer noch viele Unternehmen, die aufgrund ihrer langjährigen negativen Erfahrungen schon resigniert haben und sagen: Das bringt doch nichts…

Sind eigentlich bestimmte Branchen stärker betroffen?

Hofmann: Aus meiner Erfahrung sind alle Branchen gleichermaßen betroffen. Daneben gibt es natürlich immer neue Trends, die dazu führen, dass bestimmte Produkte verstärkt für einen gewissen Zeitraum ins Visier der Fälscher geraten. Während der ersten Monate der Corona-Krise waren beispielsweise Gesundheits- und Fitnessprodukte sowie Spielzeug stärker betroffen. Grundsätzlich gilt: Bei allem, was Konsumenten stark nachfragen und wo gerade ihr  Fokus der Begehrlichkeiten liegt, ziehen die Fälscher nach. Auch im B2B-Bereich sind letztlich Marken und Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten und einem entsprechend guten Ruf und hoher Nachfrage schnell im Visier von Plagiatoren, die sich an diesen Erfolg dranhängen wollen. Da geht es um Automobil- oder Lasertechnik oder auch um ganze Industrieroboter.

Ist es Ihrer Markenschutz-Software egal, ob es sich um eine gefälschte Motorsäge handelt oder ein Fake-Parfum?

Hofmann: Unserer Software ist das egal. Wichtig ist nur: Es muss ein physisches Produkt sein, das im Internet verkauft wird. Übrigens: Schuhe sind bei Fälschern sehr gefragt. Die liegen bei den Rankings für B2C-Produkte immer noch auf Platz eins.

Können Sie kurz erklären, wie die Software arbeitet?

[caption id="attachment_1191" align="aligncenter" width="709"]

Nicole Jasmin Hofmann: Offline über den Take-Down-Button[/caption]


Hofmann: Es geht im Grund um zwei Dinge. Zum einen: das Screenen im Internet. Die Software ist 24/7 im Internet unterwegs und screent standardmäßig rund 120 Marktplätze, die wir angebunden haben – das können auf Nachfrage auch weitere Spezial-Marktplätze sein. Unsere Software sucht für unsere Kunden nach ihren Marken und Produkten. Im nächsten Schritt wird nach gewissen Attributen „ausgesiebt“, um zu untersuchen, ob es Indikatoren für eine Fälschung gibt. Anschließend werden diese Ergebnisse in das Frontend der Kunden geladen. Er bekommt die Findings mit für ihn wichtigen Informationen übersichtlich aufgelistet – darunter Fundort, Händler, Preis, Bilder – und dann kann der Kunde mit einem Click entscheiden, was er davon offline nehmen lassen möchte. Dazu gibt es unseren Take-Down-Button. Mehr muss er gar nicht machen.

Das bedeutet: Dann geht es automatisiert weiter?

Hofmann: Genau. Dann melden wir das im Namen des Kunden der entsprechenden Plattform und dann wird das Angebot meistens innerhalb von 24 Stunden gelöscht. Was wichtig ist: 96 Prozent der von unserer Software beanstandeten Angebote werden anschließend auch wirklich als Fälschung oder Brand Abuse-Fall bestätigt.

Wie erkennt die Software so genau, dass es sich um eine Fälschung handelt? Und welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?

Hofmann: Wir haben die KI mit Daten angefüttert und mit bestimmten Attributen trainiert. Zudem kann jeder Kunde noch weitere spezifische Merkmale beim Set-up beisteuern. Danach lernt die Software kontinuierlich dazu: jedes Mal, wenn der Take-Down-Button gedrückt wird, verarbeitet unsere Software neue relevante Attribute und Kombinationen. Nach ein paar Monaten ist der Algorithmus individuell auf die Marke und Produkte des Kunden geschult. Der Kunde muss dann später den Button gar nicht mehr drücken – da die Software relevante Attribute vom Kunden erlernt hat. Eigentlich kann sich der Kunde dann zurücklehnen und unsere Reportings ansehen.

Welche Attribute sind das?

Hofmann: Wir haben ungefähr 50 Attribute. Um die einfachsten zu nennen: Preisdifferenzen, Informationen zu den Händlern, Bilder, Logos und das in einer unendlichen Kombination. Ergänzen sich verschiedene Indikatoren, wird das erst dem Kunden gemeldet und später dann automatisiert als Take-Down an die Plattform geleitet.

Zu Ende gedacht bedeutet das: Wenn alle mit der Software arbeiten, hätten wir bald schon einen von Produktpiraterie befreiten E-Commerce…

Hofmann: Wahrscheinlich eher nicht. Weil sich die meisten nicht damit zufrieden geben, wenn man ihre Produkte einmal entfernt. Es liegt in der Natur des Geschäftsmodells der Produktpiraten, sich wieder was Neues einfallen zu lassen. Deswegen ist es auch wichtig, dass man kontinuierlich überwacht und dann sehr schnell agiert. Das ist für viele Unternehmen ein Lernprozess. Denn manche sagen sich: Jetzt haben wir ein paar tausend Angebote entfernt, damit sind wir erstmal zufrieden. Aber schon ein paar Wochen später tauchen wieder neu verdächtige Angebote auf – manchmal nur minimal verändert oder unter neuem Händlernamen. Die Online-Marktplätze oder -Plattformen merken das nicht, weil es ja mit dem alten Angebot nichts zu tun hat.

Also wie ein Virenscanner, den man permanent laufen lassen muss…

Hofmann: Genau.

Wie lange dauert es, bis ich Ihre Überwachungssoftware installiert habe?

Hofmann: Das System kann sofort aktiv werden, der Onboarding-Prozess dauert maximal 14 Tage. Die genaue Dauer ist immer von der Menge der Produkte abhängig und der Frage, wie schnell der Kunde die benötigten Unterlagen zur Verfügung stellen kann.

Wie lange muss die KI trainiert werden, bis sie richtig rund läuft?

Hofmann: Unsere 96 Prozent sind schon richtig gut, die erreichen wir sehr schnell. Was immer ein bisschen dauert, ist, bis der Kunde wirklich loslässt. Die meisten wollen den Überblick behalten und müssen erst ein Mensch-Maschine-Vertrauen aufbauen. An der Quote ändert das aber nichts, sondern nur wie schnell und stark der Kunde den Prozess automatisieren möchte.

Ihr Unternehmen weist bewusst darauf hin, dass Ihre Brand Protection „Made in Germany“ ist. Ist das ein so wichtiges Asset?

Hofmann: Für unsere Kunden ist das sehr wichtig. Denn gerade „Made in Germany“ sind Produkte, die gerne gefälscht werden, weil sie für ihren guten Qualitätsstandard bekannt sind. Ich kann jedes Sanitätszubehör, selbst Badewannen und ganze Produktionsstraßen auf Alibaba kaufen, und muss damit rechnen, dass es vielleicht keine Originale sind.

Was planen Sie noch bis Jahresende?

Hofmann: Gerade für den Bereich Social Media haben wir ein paar Sachen im Köcher, denn da wandert viel hin. Mehr möchte ich aber nicht verraten. Denn wenn wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben, sind wir damit die einzigen auf dem Markt.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Nicole Jasmin Hofmann ist CEO und Co-Gründerin der Sentryc GmbH aus Berlin. Die Seriengründerin schloss ihre Studien am IMK-Institut für Marketing & Kommunikation sowie an der Frankfurt School of Finance & Management ab. Bevor sie zum Gründerteam des Software-Anbieters für Brandprotection stieß, führte sie verschiedene Start-Ups der ProSiebenSat1-Gruppe. Hofmann zeichnete hier unter anderem für den strategischen Aufbau von preis24.de sowie diverser Brands des Health- und Wellness-Unternehmens 7NXT verantwortlich. 

Weitere Interviews:
Peter Hart: Pythia sagt uns, was der Markt will
Robert Vis: Mit KI den Kundennutzen steigern
Tina Gausling: KI im Marketing: Das sind die juristischen Hürden



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Interview

5 Minuten

03.08.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Nicole Jasmin Hofmann

Durch Markenmissbrauch und Produktpiraterie entstehen im E-Commerce jährlich Milliardenverluste. Nicole Jasmin Hofmann hat mit Sentryc ein Start-up gegründet, das KI-gestützt das Internet scannt und Plagiate nahezu automatisiert entfernt. Ein Gespräch über Vorlieben der Fälscher, die Treffsicherheit der Software und die Frage, warum das System immer laufen sollte.

Frau Hofmann, die Schäden durch Produkt- und Markenpiraterie sind immens, Umfragen zufolge sind 71 Prozent aller Unternehmen davon betroffen, EU-weit entstehen dadurch jährlich Verluste in Höhe von 60 Milliarden Euro. Trotzdem ergreifen 33 Prozent keine Maßnahmen dagegen.

Hofmann: Das ist tatsächlich der Status Quo. Viele wissen gar nicht, dass es neben internationalen Abkommen und Maßnahmen des Zolls auch digitale Möglichkeiten gibt, diese Entwicklung einzudämmen. Das versuchen wir, den Unternehmen aufzuzeigen.

Ist Ihr Start-up Sentryc mit dieser Dienstleistung allein auf weiter Flur?

Hofmann: Es gibt schon ein paar Mitstreiter im Kampf gegen Markenmissbrauch und Produktpiraterie. Wenn man aber betrachtet, wie viele Anbieter es weltweit in diesem Bereich mit ähnlich digitalen Ansätzen gibt, sind das relativ wenig. Allerdings beobachten wir, dass gerade größere Unternehmen zunehmend eigene Protection-Abteilungen aufbauen. Das bedeutet, die Einsicht, dass man was tun muss, nimmt langsam zu. Viele prüfen gerade, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Es gibt aber auch immer noch viele Unternehmen, die aufgrund ihrer langjährigen negativen Erfahrungen schon resigniert haben und sagen: Das bringt doch nichts…

Sind eigentlich bestimmte Branchen stärker betroffen?

Hofmann: Aus meiner Erfahrung sind alle Branchen gleichermaßen betroffen. Daneben gibt es natürlich immer neue Trends, die dazu führen, dass bestimmte Produkte verstärkt für einen gewissen Zeitraum ins Visier der Fälscher geraten. Während der ersten Monate der Corona-Krise waren beispielsweise Gesundheits- und Fitnessprodukte sowie Spielzeug stärker betroffen. Grundsätzlich gilt: Bei allem, was Konsumenten stark nachfragen und wo gerade ihr  Fokus der Begehrlichkeiten liegt, ziehen die Fälscher nach. Auch im B2B-Bereich sind letztlich Marken und Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten und einem entsprechend guten Ruf und hoher Nachfrage schnell im Visier von Plagiatoren, die sich an diesen Erfolg dranhängen wollen. Da geht es um Automobil- oder Lasertechnik oder auch um ganze Industrieroboter.

Ist es Ihrer Markenschutz-Software egal, ob es sich um eine gefälschte Motorsäge handelt oder ein Fake-Parfum?

Hofmann: Unserer Software ist das egal. Wichtig ist nur: Es muss ein physisches Produkt sein, das im Internet verkauft wird. Übrigens: Schuhe sind bei Fälschern sehr gefragt. Die liegen bei den Rankings für B2C-Produkte immer noch auf Platz eins.

Können Sie kurz erklären, wie die Software arbeitet?

[caption id="attachment_1191" align="aligncenter" width="709"]

Nicole Jasmin Hofmann: Offline über den Take-Down-Button[/caption]


Hofmann: Es geht im Grund um zwei Dinge. Zum einen: das Screenen im Internet. Die Software ist 24/7 im Internet unterwegs und screent standardmäßig rund 120 Marktplätze, die wir angebunden haben – das können auf Nachfrage auch weitere Spezial-Marktplätze sein. Unsere Software sucht für unsere Kunden nach ihren Marken und Produkten. Im nächsten Schritt wird nach gewissen Attributen „ausgesiebt“, um zu untersuchen, ob es Indikatoren für eine Fälschung gibt. Anschließend werden diese Ergebnisse in das Frontend der Kunden geladen. Er bekommt die Findings mit für ihn wichtigen Informationen übersichtlich aufgelistet – darunter Fundort, Händler, Preis, Bilder – und dann kann der Kunde mit einem Click entscheiden, was er davon offline nehmen lassen möchte. Dazu gibt es unseren Take-Down-Button. Mehr muss er gar nicht machen.

Das bedeutet: Dann geht es automatisiert weiter?

Hofmann: Genau. Dann melden wir das im Namen des Kunden der entsprechenden Plattform und dann wird das Angebot meistens innerhalb von 24 Stunden gelöscht. Was wichtig ist: 96 Prozent der von unserer Software beanstandeten Angebote werden anschließend auch wirklich als Fälschung oder Brand Abuse-Fall bestätigt.

Wie erkennt die Software so genau, dass es sich um eine Fälschung handelt? Und welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?

Hofmann: Wir haben die KI mit Daten angefüttert und mit bestimmten Attributen trainiert. Zudem kann jeder Kunde noch weitere spezifische Merkmale beim Set-up beisteuern. Danach lernt die Software kontinuierlich dazu: jedes Mal, wenn der Take-Down-Button gedrückt wird, verarbeitet unsere Software neue relevante Attribute und Kombinationen. Nach ein paar Monaten ist der Algorithmus individuell auf die Marke und Produkte des Kunden geschult. Der Kunde muss dann später den Button gar nicht mehr drücken – da die Software relevante Attribute vom Kunden erlernt hat. Eigentlich kann sich der Kunde dann zurücklehnen und unsere Reportings ansehen.

Welche Attribute sind das?

Hofmann: Wir haben ungefähr 50 Attribute. Um die einfachsten zu nennen: Preisdifferenzen, Informationen zu den Händlern, Bilder, Logos und das in einer unendlichen Kombination. Ergänzen sich verschiedene Indikatoren, wird das erst dem Kunden gemeldet und später dann automatisiert als Take-Down an die Plattform geleitet.

Zu Ende gedacht bedeutet das: Wenn alle mit der Software arbeiten, hätten wir bald schon einen von Produktpiraterie befreiten E-Commerce…

Hofmann: Wahrscheinlich eher nicht. Weil sich die meisten nicht damit zufrieden geben, wenn man ihre Produkte einmal entfernt. Es liegt in der Natur des Geschäftsmodells der Produktpiraten, sich wieder was Neues einfallen zu lassen. Deswegen ist es auch wichtig, dass man kontinuierlich überwacht und dann sehr schnell agiert. Das ist für viele Unternehmen ein Lernprozess. Denn manche sagen sich: Jetzt haben wir ein paar tausend Angebote entfernt, damit sind wir erstmal zufrieden. Aber schon ein paar Wochen später tauchen wieder neu verdächtige Angebote auf – manchmal nur minimal verändert oder unter neuem Händlernamen. Die Online-Marktplätze oder -Plattformen merken das nicht, weil es ja mit dem alten Angebot nichts zu tun hat.

Also wie ein Virenscanner, den man permanent laufen lassen muss…

Hofmann: Genau.

Wie lange dauert es, bis ich Ihre Überwachungssoftware installiert habe?

Hofmann: Das System kann sofort aktiv werden, der Onboarding-Prozess dauert maximal 14 Tage. Die genaue Dauer ist immer von der Menge der Produkte abhängig und der Frage, wie schnell der Kunde die benötigten Unterlagen zur Verfügung stellen kann.

Wie lange muss die KI trainiert werden, bis sie richtig rund läuft?

Hofmann: Unsere 96 Prozent sind schon richtig gut, die erreichen wir sehr schnell. Was immer ein bisschen dauert, ist, bis der Kunde wirklich loslässt. Die meisten wollen den Überblick behalten und müssen erst ein Mensch-Maschine-Vertrauen aufbauen. An der Quote ändert das aber nichts, sondern nur wie schnell und stark der Kunde den Prozess automatisieren möchte.

Ihr Unternehmen weist bewusst darauf hin, dass Ihre Brand Protection „Made in Germany“ ist. Ist das ein so wichtiges Asset?

Hofmann: Für unsere Kunden ist das sehr wichtig. Denn gerade „Made in Germany“ sind Produkte, die gerne gefälscht werden, weil sie für ihren guten Qualitätsstandard bekannt sind. Ich kann jedes Sanitätszubehör, selbst Badewannen und ganze Produktionsstraßen auf Alibaba kaufen, und muss damit rechnen, dass es vielleicht keine Originale sind.

Was planen Sie noch bis Jahresende?

Hofmann: Gerade für den Bereich Social Media haben wir ein paar Sachen im Köcher, denn da wandert viel hin. Mehr möchte ich aber nicht verraten. Denn wenn wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben, sind wir damit die einzigen auf dem Markt.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Nicole Jasmin Hofmann ist CEO und Co-Gründerin der Sentryc GmbH aus Berlin. Die Seriengründerin schloss ihre Studien am IMK-Institut für Marketing & Kommunikation sowie an der Frankfurt School of Finance & Management ab. Bevor sie zum Gründerteam des Software-Anbieters für Brandprotection stieß, führte sie verschiedene Start-Ups der ProSiebenSat1-Gruppe. Hofmann zeichnete hier unter anderem für den strategischen Aufbau von preis24.de sowie diverser Brands des Health- und Wellness-Unternehmens 7NXT verantwortlich. 

Weitere Interviews:
Peter Hart: Pythia sagt uns, was der Markt will
Robert Vis: Mit KI den Kundennutzen steigern
Tina Gausling: KI im Marketing: Das sind die juristischen Hürden



Mit KI gegen Produktpiraterie im Web

Interview

5 Minuten

03.08.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Nicole Jasmin Hofmann

Durch Markenmissbrauch und Produktpiraterie entstehen im E-Commerce jährlich Milliardenverluste. Nicole Jasmin Hofmann hat mit Sentryc ein Start-up gegründet, das KI-gestützt das Internet scannt und Plagiate nahezu automatisiert entfernt. Ein Gespräch über Vorlieben der Fälscher, die Treffsicherheit der Software und die Frage, warum das System immer laufen sollte.

Frau Hofmann, die Schäden durch Produkt- und Markenpiraterie sind immens, Umfragen zufolge sind 71 Prozent aller Unternehmen davon betroffen, EU-weit entstehen dadurch jährlich Verluste in Höhe von 60 Milliarden Euro. Trotzdem ergreifen 33 Prozent keine Maßnahmen dagegen.

Hofmann: Das ist tatsächlich der Status Quo. Viele wissen gar nicht, dass es neben internationalen Abkommen und Maßnahmen des Zolls auch digitale Möglichkeiten gibt, diese Entwicklung einzudämmen. Das versuchen wir, den Unternehmen aufzuzeigen.

Ist Ihr Start-up Sentryc mit dieser Dienstleistung allein auf weiter Flur?

Hofmann: Es gibt schon ein paar Mitstreiter im Kampf gegen Markenmissbrauch und Produktpiraterie. Wenn man aber betrachtet, wie viele Anbieter es weltweit in diesem Bereich mit ähnlich digitalen Ansätzen gibt, sind das relativ wenig. Allerdings beobachten wir, dass gerade größere Unternehmen zunehmend eigene Protection-Abteilungen aufbauen. Das bedeutet, die Einsicht, dass man was tun muss, nimmt langsam zu. Viele prüfen gerade, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Es gibt aber auch immer noch viele Unternehmen, die aufgrund ihrer langjährigen negativen Erfahrungen schon resigniert haben und sagen: Das bringt doch nichts…

Sind eigentlich bestimmte Branchen stärker betroffen?

Hofmann: Aus meiner Erfahrung sind alle Branchen gleichermaßen betroffen. Daneben gibt es natürlich immer neue Trends, die dazu führen, dass bestimmte Produkte verstärkt für einen gewissen Zeitraum ins Visier der Fälscher geraten. Während der ersten Monate der Corona-Krise waren beispielsweise Gesundheits- und Fitnessprodukte sowie Spielzeug stärker betroffen. Grundsätzlich gilt: Bei allem, was Konsumenten stark nachfragen und wo gerade ihr  Fokus der Begehrlichkeiten liegt, ziehen die Fälscher nach. Auch im B2B-Bereich sind letztlich Marken und Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten und einem entsprechend guten Ruf und hoher Nachfrage schnell im Visier von Plagiatoren, die sich an diesen Erfolg dranhängen wollen. Da geht es um Automobil- oder Lasertechnik oder auch um ganze Industrieroboter.

Ist es Ihrer Markenschutz-Software egal, ob es sich um eine gefälschte Motorsäge handelt oder ein Fake-Parfum?

Hofmann: Unserer Software ist das egal. Wichtig ist nur: Es muss ein physisches Produkt sein, das im Internet verkauft wird. Übrigens: Schuhe sind bei Fälschern sehr gefragt. Die liegen bei den Rankings für B2C-Produkte immer noch auf Platz eins.

Können Sie kurz erklären, wie die Software arbeitet?

[caption id="attachment_1191" align="aligncenter" width="709"]

Nicole Jasmin Hofmann: Offline über den Take-Down-Button[/caption]


Hofmann: Es geht im Grund um zwei Dinge. Zum einen: das Screenen im Internet. Die Software ist 24/7 im Internet unterwegs und screent standardmäßig rund 120 Marktplätze, die wir angebunden haben – das können auf Nachfrage auch weitere Spezial-Marktplätze sein. Unsere Software sucht für unsere Kunden nach ihren Marken und Produkten. Im nächsten Schritt wird nach gewissen Attributen „ausgesiebt“, um zu untersuchen, ob es Indikatoren für eine Fälschung gibt. Anschließend werden diese Ergebnisse in das Frontend der Kunden geladen. Er bekommt die Findings mit für ihn wichtigen Informationen übersichtlich aufgelistet – darunter Fundort, Händler, Preis, Bilder – und dann kann der Kunde mit einem Click entscheiden, was er davon offline nehmen lassen möchte. Dazu gibt es unseren Take-Down-Button. Mehr muss er gar nicht machen.

Das bedeutet: Dann geht es automatisiert weiter?

Hofmann: Genau. Dann melden wir das im Namen des Kunden der entsprechenden Plattform und dann wird das Angebot meistens innerhalb von 24 Stunden gelöscht. Was wichtig ist: 96 Prozent der von unserer Software beanstandeten Angebote werden anschließend auch wirklich als Fälschung oder Brand Abuse-Fall bestätigt.

Wie erkennt die Software so genau, dass es sich um eine Fälschung handelt? Und welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?

Hofmann: Wir haben die KI mit Daten angefüttert und mit bestimmten Attributen trainiert. Zudem kann jeder Kunde noch weitere spezifische Merkmale beim Set-up beisteuern. Danach lernt die Software kontinuierlich dazu: jedes Mal, wenn der Take-Down-Button gedrückt wird, verarbeitet unsere Software neue relevante Attribute und Kombinationen. Nach ein paar Monaten ist der Algorithmus individuell auf die Marke und Produkte des Kunden geschult. Der Kunde muss dann später den Button gar nicht mehr drücken – da die Software relevante Attribute vom Kunden erlernt hat. Eigentlich kann sich der Kunde dann zurücklehnen und unsere Reportings ansehen.

Welche Attribute sind das?

Hofmann: Wir haben ungefähr 50 Attribute. Um die einfachsten zu nennen: Preisdifferenzen, Informationen zu den Händlern, Bilder, Logos und das in einer unendlichen Kombination. Ergänzen sich verschiedene Indikatoren, wird das erst dem Kunden gemeldet und später dann automatisiert als Take-Down an die Plattform geleitet.

Zu Ende gedacht bedeutet das: Wenn alle mit der Software arbeiten, hätten wir bald schon einen von Produktpiraterie befreiten E-Commerce…

Hofmann: Wahrscheinlich eher nicht. Weil sich die meisten nicht damit zufrieden geben, wenn man ihre Produkte einmal entfernt. Es liegt in der Natur des Geschäftsmodells der Produktpiraten, sich wieder was Neues einfallen zu lassen. Deswegen ist es auch wichtig, dass man kontinuierlich überwacht und dann sehr schnell agiert. Das ist für viele Unternehmen ein Lernprozess. Denn manche sagen sich: Jetzt haben wir ein paar tausend Angebote entfernt, damit sind wir erstmal zufrieden. Aber schon ein paar Wochen später tauchen wieder neu verdächtige Angebote auf – manchmal nur minimal verändert oder unter neuem Händlernamen. Die Online-Marktplätze oder -Plattformen merken das nicht, weil es ja mit dem alten Angebot nichts zu tun hat.

Also wie ein Virenscanner, den man permanent laufen lassen muss…

Hofmann: Genau.

Wie lange dauert es, bis ich Ihre Überwachungssoftware installiert habe?

Hofmann: Das System kann sofort aktiv werden, der Onboarding-Prozess dauert maximal 14 Tage. Die genaue Dauer ist immer von der Menge der Produkte abhängig und der Frage, wie schnell der Kunde die benötigten Unterlagen zur Verfügung stellen kann.

Wie lange muss die KI trainiert werden, bis sie richtig rund läuft?

Hofmann: Unsere 96 Prozent sind schon richtig gut, die erreichen wir sehr schnell. Was immer ein bisschen dauert, ist, bis der Kunde wirklich loslässt. Die meisten wollen den Überblick behalten und müssen erst ein Mensch-Maschine-Vertrauen aufbauen. An der Quote ändert das aber nichts, sondern nur wie schnell und stark der Kunde den Prozess automatisieren möchte.

Ihr Unternehmen weist bewusst darauf hin, dass Ihre Brand Protection „Made in Germany“ ist. Ist das ein so wichtiges Asset?

Hofmann: Für unsere Kunden ist das sehr wichtig. Denn gerade „Made in Germany“ sind Produkte, die gerne gefälscht werden, weil sie für ihren guten Qualitätsstandard bekannt sind. Ich kann jedes Sanitätszubehör, selbst Badewannen und ganze Produktionsstraßen auf Alibaba kaufen, und muss damit rechnen, dass es vielleicht keine Originale sind.

Was planen Sie noch bis Jahresende?

Hofmann: Gerade für den Bereich Social Media haben wir ein paar Sachen im Köcher, denn da wandert viel hin. Mehr möchte ich aber nicht verraten. Denn wenn wir das schaffen, was wir uns vorgenommen haben, sind wir damit die einzigen auf dem Markt.

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