„Pythia sagt uns, was der Markt will“

Peter Hart gehört vermutlich zu den umtriebigsten und einfallsreichsten Gründern im Land. Mit dem KI-Startup Pythia, das datengestützt Trends vorhersagt, ist er sogar im Silicon Valley aktiv. Ein Gespräch über Trendscouts, Chaos-Komponenten und die Frage, ob Unternehmen überhaupt noch die Sprache ihrer Kunden sprechen.

Peter, wenn man versucht, sich einen Überblick zu verschaffen, mit welchen Start-ups Du gerade arbeitest, stößt man auf zahlreiche Firmennamen: Hart  Limes, Amasella, Swarm Market Research AI mit Pythia…

Peter Hart: Ich bin eben klassischer Gründer, Unternehmer. Wir haben – verteilt auf fünf GmbHs – zwölf Unternehmen, dazu Swarm mit Pythia als eigene GmbH. Das läuft alles parallel. Wir haben teils getrennte Teams, teils Teams, die sich übergreifend um mehrere Sachen kümmern. Wir verteilen die Arbeitsleistung dynamisch in Berlin, Frankfurt, London und dem Silicon Valley.

Im Silicon Valley seid Ihr mit Pythia aktiv…

Hart: Pythia ist dort für den Markt genauso innovativ wie hier für Deutschland.

Erstaunlich, weil man ja immer hört, dass es dort bereits alles gibt…

Hart: Da habe ich mich im Lauf der Zeit daran gewöhnt: Bei vielen Sachen denkt man sich, das müsste doch schon jemand gemacht haben. Aber dann ist es doch nicht so.

Welches Deiner Projekte hat denn derzeit oberste Priorität?

Hart: Eindeutig Pythia.

Weil Du darin das größte Potenzial siehst oder weil der Ansatz am universellsten ist?

Hart: Es hat mehrere Gründe. Pythia hat derzeit das meiste Potenzial und ich finde es persönlich derzeit auch am Interessantesten. Es ist einfach unfassbar spannend zu sehen, wieviel man durch smarte Datenverarbeitung an Ergebnissen prognostizieren kann.

Wenn Du von smarter Datenverarbeitung sprichst: Kommt hier Künstliche Intelligenz zum Einsatz oder handelt es sich um Algorithmen?

Hart: Das ist eine sehr gute Frage, weil viele Projekte, hinter denen Algorithmen stehen, fälschlicherweise mit Machine Learning oder mit Künstlicher Intelligenz betitelt werden. Pythia ist die Essenz einer langen Serie von Unternehmen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Wir bewegen uns damit immer an der Grenze der aktuellen Forschung. Sobald es neue KI-Modelle gibt, überlegen wir, ob wir die mit einbauen können. Pythia ist selbstlernend und basiert darauf, das Interesse von Kunden zu prognostizieren. Es sind natürlich auch viele Algorithmen einprogrammiert, also „Wenn, dann-Regeln“. Demgegenüber lernt die KI selbst, findet selbst Lösungen und baut sich selbst ihre „Wenn, dann-Regeln“.

Das Unternehmen Rossmann nutzt Pythia und ist an Deiner Firma direkt beteiligt. Es geht dem Unternehmen darum, Trends zu erkennen und rechtzeitig mit den richtigen Produkten am Markt zu sein. Pythia löst also die Trend-Scouts ab.

Peter Hart: Unfassbar spannend, was man mit Daten prognostizieren kann


Hart: Man ergänzt sie. Es gibt ja verschiedene Produktfindungsansätze. Einer ist, zu sehen, was der Markt jetzt will, also Trends frühzeitig zu entdecken. Das machen wir. Aber es gibt natürlich auch noch die, die Trends kreieren. Aus beiden Bereichen gibt es Überlappungen. Bewegungen, die wir erkennen, kann man natürlich auch zu neuen Trends umformulieren. Pythia ist außerdem ein wertvolles Tool für Unternehmen, weil Trendscouts auch ihre Einschätzungen mit Daten untermauern können.

Liefert die KI auch Vorschläge für neue Produkte?

Hart: Diese Entscheidung liefert dann in der Regel das Unternehmen. Die KI erkennt beispielsweise zwei aktuelle Trends, darauf kann man dann mit einer Entscheidung für ein neues Produkt aufbauen. Da ist dann menschliches Gespür gefragt.

Seid Ihr mit Pythia ins Silicon Valley gegangen, weil sich die Idee der datengestützten Prognose auch auf andere Bereiche übertragen lässt?

Hart: Genau. Mit Penguin Random House zählt beispielsweise der weltweit größte Verlag zu unseren Kunden. Wir haben es auch mit verschiedenen Musiklabels zu tun bis hin zu großen Finanzdienstleistern. Da geht es dann um makroökonomische Fragen, wie beispielsweise: Wie viele Menschen werden in den nächsten Jahren in den USA über eine Finanzierung ihres Hauses nachdenken?

Und welche Prognosen werden für Penguin Random House abgegeben? Welche Autoren schon bald angesagt sind?

Hart: Da geht es hauptsächlich um Content. Für Medienhäuser analysieren wir, in welche Richtung die Content-Wünsche der Kunden gehen. Und es geht vielfach auch um die Trendvalidierung von Autoren und Künstlern.

Trendvalidierung heißt?

Hart: Wie werden sich die Künstler im nächsten Jahr in ihrem Portfolio entwickeln? Damit können die Unternehmen strategische Entscheidungen treffen, beispielsweise über Investitionen.

Große Filmgesellschaften arbeiten mit Prognosetools, um den Erfolg von Filmen antizipieren können.

Hart: Ja, damit wird das Potenzial von Drehbüchern beurteilt. Sie verfügen über eine Datenbank an Drehbüchern und können damit deren Erfolg einschätzen. Das ist ein anderer Ansatz. Das würde bei uns nicht gehen. Das liegt außerhalb von unserem Fokus.

Von Amazon wird immer wieder berichtet, dass man dort an supergenauen Prognosemodellen arbeitet. Die sollen dem Unternehmen sagen, was ihre Kunde bestellen werden, bevor sie es tatsächlich bestellt haben. Und es ihnen schon mal liefern.

Hart: Mit genügend Datenpunkten ist das eine realistische Vision. Natürlich ist das wegen der Chaos-Komponente mit einer Fehlerquote behaftet. Aber letztlich ist es nur eine Frage der Datenmenge und Datenqualität, wie stark man diese Fehlerquote verringern kann. Da kann man theoretisch schon auf eine Trefferquote von 99,5 Prozent kommen. In Deutschland wird das aber aufgrund des Datenschutzes meiner Meinung nach nicht möglich sein, was gut ist.

Wo wird Künstliche Intelligenz im Marketing noch verstärkt zum Einsatz kommen?

Hart: Bei der Prognose von Nachfrage, bei der Produktfindung und bei der Gestaltung von Werbung. Da arbeiten wir auch mit vielen Kunden daran. Wir forschen daran, wie die richtige Ansprache der Kunden sein soll. Es geht nicht darum, wie das Unternehmen aktuell spricht, welche Philosophie es hat. Sondern darum, wie die Kunden über einen bestimmten Produktbereich sprechen. Wir analysieren beispielsweise, was die Leute bei der Suche eingeben. Das bedeutet: Das Marketing kann daran arbeiten, genauso zu kommunizieren, wie es die Kunden selber formulieren würden. Damit steigen die Sympathie für das Unternehmen und letztlich die Conversion Rate. Übrigens steigt damit auch die Lesegeschwindigkeit. Bei der aktuellen Kürze der Aufmerksamkeitsspanne ein extrem wichtiger Faktor im Marketing.

Interessanter Punkt. Denn große Unternehmen haben mühsam erarbeitete Guidelines, in denen steht, mit welchem Wording sie nach außen auftreten. Die wären dann ein Fall für die Tonne…

Hart: Sie müssten sich zumindest von strengen Vorgaben verabschieden.

Wie siehst Du den Bereich Chatbots und intelligente Kundenkommunikation?

Hart: Auch da geht es darum, wie die Kunden aktuell ihre Fragen formulieren. Und darum, was ihnen wichtig ist und was weniger wichtig. Da kann man noch viel optimieren, um zu den Kunden ein noch besseres Verhältnis aufzubauen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Uni Frankfurt sammelte Peter Hart Erfahrungen im Ministry of Manpower in Singapur, bei Continental und der Deutschen Börse. Seine erste Gründung, die Hart Limes GmbH, erfolgte direkt im Anschluss 2015. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt die Marken Dr. Severin, Alpensocken und, bis zur Ausgründung 2019, Nutree. Seit Januar 2019 agiert der 29-Jährige zudem als CEO der ebenfalls durch ihn gegründeten Swarm Market Research AI GmbH, an der die Rossmann GmbH 25 Prozent hält.