„Kreativ-Berufe werden sich stark verändern“

Künstliche Intelligenz wird die Arbeit von Kreativen massiv verändern – durch die Tools, die benutzt werden und durch die nahezu explodierende Menge an Daten, mit denen diese Tools gefüttert werden. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Arbeit von Designern und Werbern bleiben. Ein Gespräch mit Professor Peter Kabel über kreative Intelligenz, Creative Bias und die Frage, wie der Job eines Kreativen künftig aussehen wird (Foto Copyright: Anton Ahrens). 

Herr Kabel, Sie haben kürzlich das Projekt aixdesign gestartet. Basis ist eine Plattform, auf der Umfragen zu KI und Vorträge stattfinden. Es geht offenbar darum, die Kreativwirtschaft näher an das Thema KI heranzuführen. Ist das die Zielsetzung?

Peter Kabel: Algorithmen beeinflussen bereits heute zunehmend die Arbeit von Designern und Kreativen aller möglichen Disziplinen, ohne dass sich die Designer darüber wirklich bewusst sind. Entlang der gesamten Prozesskette der Arbeit von Kreativen – von der anfänglichen Recherche, über die Werkzeuge in der Produktion, bis zur Verbreitung von Kreativ-Produkten – kommen heute Systeme zum Einsatz, die sich selbstlernend im Verlauf der Nutzung optimieren und weiter entwickeln. Das ist einerseits natürlich erfreulich, weil Vieles dadurch heute gewissermaßen wie von Zauberhand funktioniert. Gleichzeitig verändert sich dadurch natürlich die Arbeit des Kreativen, dessen Selbstverständnis häufig ja noch ist, Entscheidungen autonom zu treffen und letztlich genuiner Autor eines kreativen Werkes zu sein. 

Warum ist den Kreativen das so wichtig?

Kabel: Designer, Architekten, Musiker und Texter leisten ja besseres, wenn sie nicht nur aus dem Bauch heraus agieren, sondern sich selbst und ihre Arbeit gleichzeitig beobachten. Dabei fällt ein besonderes Augenmerk naturgemäß auch auf die Tools und verwendeten Instrumente. Auch zeitgemäße Softwaretools folgen einer nachvollziehbaren Input-Output-Logik. Der Designer dreht an einem Regler und das Ergebnis fällt erwartbar aus. Nun aber entwickeln sich Werkzeuge selbstständig weiter. Das Ergebnis einer Google-Suche ist nicht, oder nur zu einem geringen Anteil, vorhersehbar. Ebensowenig sind die Ergebnisse eines sogenannten NVIDIA StyleGan genau vorhersehbar, das basierend auf den Erkenntnissen über den Nutzer Bildstruktur, Himmel, Wolken, Strand und Vegetation einfügt. Dabei handelt es sich lediglich um ein aktuelles Beispiel, das man in alle möglichen Felder der Kreativarbeit übertragen kann und es ist auch erst der Anfang einer rasant verlaufenden Entwicklung. Welche Wolkenart füllt die AI dabei ein? Wie in anderen AI-Bereichen gibt es hier auch einen „Creative Bias“ – eben eine durch die Trainingsdaten verursachte Voreingenommenheit. 

Ein von StyleGan generiertes Gesicht, das täuschend echt aussieht.


Eine Ihrer zentralen Fragen lautet: Die Welt wird von Design beeinflusst. Wenn künftig also KI das Design beeinflusst, was macht das mit unserer Gesellschaft?

Kabel: Genau. Es handelt sich nicht um eine Frage, die nur Designer betrifft und nur unter Designern diskutiert werden kann und soll, sondern weit darüber hinaus betrachtet werden muss. Einerseits, weil die Design-Praxis der Professionals stark von Algorithmen und Trainingsdaten beeinflusst wird und damit die Produkte der Designpraxis – die Häuser, Websites, Kaffee-Tassen und Hosenanzüge. Andererseits, weil „kreative Intelligenz“ zunehmend auch Design-Bestandteil von Kreativ-Werkzeugen für Konsumenten geworden sind. Die Foto-App, die nur auslöst, wenn alle lachen, oder auf den Bildern automatisch die Gesichter retouchiert und dabei alle lächeln lässt, verhindert Gruppenfotos, auf denen Einzelne möglicherweise begründet nicht lächeln und beeinflussen dabei unsere tagtägliche Welt: Denken Sie an das Foto der Hochzeitsgesellschaft auf der eben zwei, drei Junggesellen nicht lachen, denn sie hatten sich vielleicht auch Hoffnungen auf die Braut gemacht…

Die Frage ist damit auch, was das für Folgen auf unser Design und damit auch auf Werbung und Marketing hat, wenn immer häufiger KI-Tools zum Einsatz kommen?

Kabel: Per Definition verarbeiten AI-Engines Vergangenheitsdaten und extrapolieren daraus ihre Ergebnisse, Vorschläge und Lösungsansätze. Design und Kreativität entfaltet häufig ja durch Sprunginnovation besondere Kraft, wohingegen die optimierende Auswertung von vorhandenen Daten strukturell eher zu Verbesserungsinnovation tendiert. Es gibt viele Arbeitsfelder von Kreativen, in denen es eher um kontinuierliche Verbesserungen geht. Kommunikation und Werbung aber lebt vom Überraschungsmoment des Neuen und kontrollierter Dissonanz. Der Fehler und die Störung sind nicht selten Anstöße in der Kreativarbeit. Wenn der Algorithmus von Pinterest meinen Inspirationsraum definiert, dann hat dies vermutlich ebenso viel Auswirkung, wie der Algorithmus, der die Ausspielung der von mir getexteten Werbemittel in Social Media. Auf Seiten von Media-Planung und Controlling gibt es unzählige Akteure, Diskussionen und Aufmerksamkeit. Auf Seiten der Kreativ-Arbeit selbst aber gibt es nicht viel davon. Das muss sich vermutlich ändern. 

Es gibt viele Kreative, die in KI einen Gegner sehen. Sie sagen: Erstens ist KI nicht wirklich kreativ. Zweitens bedroht sie trotzdem unsere Arbeitsplätze. Wie bewerten Sie solche Äußerungen?

Kabel: Natürlich ist KI nicht kreativ. Werkzeuge für Kreative enthalten KI und diejenigen Designer, die diese Werkzeuge einzusetzen wissen, werden keineswegs arbeitslos, sondern gefragt im Markt. Klar ist aber, dass sich Kreativ-Berufe erneut stark verändern. Bereits in der allerersten Digitalisierungswelle Ende der 1980er-Jahre spürten Designer diesen Digitalisierungsschub zuallererst. Ich selbst habe als junger Grafikdesigner erlebt, wie innerhalb weniger Jahre mit dem sogenannten Desktop-Publishing sich das Anforderungsprofil an Designer innerhalb weniger Jahre schlagartig änderte. Gleiches erlebten Musiker, Architekten, Produkt- und Modedesigner. Überall integrierte der PC viele Arbeitsschritte, bei denen zuvor noch eigene Berufsbilder – Konstruktionszeichner, Lithografen, Ton-Meister – notwendig waren. Der Designer konnte nun alles selbst erledigen. Der Designer musste aber auch alles selbst erledigen. Eine Entwicklung, die im Verlauf ja viele Berufe außerhalb der Kreativwirtschaft erfasste. 

Der jetzige AI-Entwicklungsschub könnte ähnlich verlaufen. Viele der heute noch recht hierarchisch aufgebauten Prozesse in Agenturen, Design- und Architekturbüros können integriert werden. Vorbereitende und repetitive Aufgaben, die heute häufig von Junioren erledigt werden, können automatisiert werden. Das führt natürlich zu einem Druck im System und wird auch zu Abbau von gesondert erbrachten Leistungen, Arbeitsplätzen, Dienstleistungsunternehmen und Beschäftigungen führen. Der Ausweg: nicht darüber klagen, sondern Teil der dynamischen Entwicklung sein – als Einzelner, als Unternehmen.

Heißt das: Kreative sind am Ende doch unersetzlich?

Kabel: Kreative sind unersetzlich, solange sie sich unersetzlich machen und halten. Die Aufgaben werden sich verändern. Kreative werden noch mehr als heute darin gefragt sein, geeignete Inputs, Inspiration und Insights zu organisieren und dann kreativ zu etwas Neuem und Verwertbaren zu verarbeiten. Die Inspirationen von Morgen heißen Trainingsdaten. Eine der Aufgaben für Kreative wird es sein, Trainingsdaten zu sourcen und kundig so zu kuratieren, dass Algorithmen und ML-Modelle zu geeigneten Ergebnissen kommen.

Welche neue Möglichkeiten könnte die Nutzung von KI bei der Gestaltung von Design eröffnen?

Kabel: Unbeschränkte Möglichkeiten, was gleichzeitig Chance und Problem darstellt. Kreativität wächst nicht selten an Widerständen und technischen Hürden und Beschränkungen. Wenn ich einer Maschine einfach sagen kann, was ich mir vorstelle und die Maschine dann das entsprechende Bild erstellt – zum Beispiel DALL-E von Open.ai – dann ist dies natürlich verblüffend und scheint künftig alles möglich zu machen.

DALL-E: Verwandelt Text in Bilder. Hier der „Avocado-Sessel“


Gleichzeitig aber ist auch die Frage, wie sich die Designpraxis verändert, wenn der Aspekt der intuitiv beim Zeichnen geführten Hand künftig entfällt und jeder vage Gedanke des Zeichners zunächst in präzise Worte gefasst werden muss um zu entstehen. Es ist bekannt, dass in der Vergangenheit manche Telefonkritzelei – gibt es das heute überhaupt noch? – Grundlage bedeutender Werke wurde und der Strich des Modedesigners eher aus der Hand, als aus dem Bewusstsein stammt. 

Wie wird sich Ihrer Ansicht nach das Verhältnis von AI und Design in den nächsten Jahren entwickeln?

Kabel: Stürmisch. Die Menge der im digitalen Raum verfügbaren Daten wächst kontinuierlich, sie explodiert. Mit diesem Futter werden Modelle versorgt, die im Bereich von Imaging und Sprachverarbeitung wirklich atemberaubende Ergebnisse bringen. Viele AI-Modelle sind über APIs im Netz verfügbar, sodass engagierte junge Designer damit auch experimentieren können und Expertise in dieser frühen Entwicklungsphase aufbauen können. In vielen Bereichen der Softwareentwicklung gewinnen Konzepte von Low-Code, oder No-Code an Bedeutung. Nicht-Programmierer können dabei im Rahmen von Frameworks flexibel Anwendungen entwickeln. Es ist zu erwarten, dass sich mit AI auch Low-Design oder No-Design Anwendungen entwickeln, Frameworks mithilfe derer „Laien“ komplexe und passable Design-Ergebnisse schaffen können. 

Wie ist die Resonanz auf Ihr Projekt?

Kabel: Gut, aber wir können noch mehr vertragen! Es geht uns ja darum, die noch kleine Szene zu vernetzen und ins gemeinsame Gespräch zu bringen. Davon kann es, angesichts der Veränderungsdimension, vermutlich nie genug geben! Bis in den Sommer hinein gibt es immer 14-tägig einen Zoom-Fireside-Chat, bei dem wir internationale Akteure zum Themenfeld vorstellen und zur Diskussion bringen. Gut ist es auch, wenn man sich an der Befragung beteiligt, bei der wir sieben Fragen zur Schnittmenge zwischen Design und AI zur Diskussion stellen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Peter Kabel ist Gründer mehrerer Unternehmen in den Bereichen Medien, Technologie und Design sowie Berater und Investor. An der HAW Hamburg lehrt er zudem als Ordentlicher Professor zu den Themen Interaction Design, Service Design und setzte verschiedene Innovations-Inititiativen um (z.B. Design Hackathon). Er ist Autor zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen und ein gefragter Redner auf Kongressen. Von 2004 bis 2007 war Peter Kabel  Mitglied des Vorstands der Jung von Matt AG.

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