„KI macht Marketing intelligent“

Iskender Dirik (Foto: Raimar von Wienskowski) managt für Microsoft vielversprechende Tech-Start-ups in Berlin. Das Thema KI spielt dabei eine große Rolle. Im Interview sagt Iskender: „Für das Marketing ist es jetzt ein super Zeitpunkt , sich mit Künstlicher Intelligenz zu befassen.“ Und weiter: „Durch KI wird das Marketing das erste Mal wirklich und ernsthaft intelligent.“

Iskender Dirik, Sie sind Chef von Microsoft ScaleUp in Berlin, einem weltweiten Programm, das innovative Tech-Start-ups fördert. Gibt es noch Geschäftsideen, die ohne Künstliche Intelligenz auskommen?

Dirik: Absolut – ganz viele sogar. Im Consumer-Bereich haben die meisten Geschäftsideen noch wenig KI Anteil. Wir bei Microsoft ScaleUp fokussieren uns allerdings auf den B2B Bereich, d. h. Anwendungen für Unternehmen. Dort basieren neue Geschäftsideen mehr und mehr auf KI, aber noch lange nicht alle. Es gibt beispielsweise tolle Software-as-a-Service Start-ups oder Online Marktplätze, die große Mehrwerte für ihre Anwender schaffen – auch ohne echte KI. Am Ende darf man eins nicht vergessen: Technologie selbst sollte kein Selbstzweck sein und ist kein Geschäftsmodell, sondern ein Mittel, um tolle Ideen und Produkte umzusetzen. Und um letzteres zu tun, kann KI das richtige Mittel sein. In vielen Fällen ist es aber gerade am Anfang kein Muss, um gute Geschäftsideen zu realisieren und am Markt zu testen. 

Ihre These ist trotzdem, dass KI einen massiven Einfluss auf Job, Gesellschaft und Privatleben ausüben wird. Auf was sollten wir uns denn gefasst machen?

Dirik: Wir stehen vor der größten technologischen Revolution, die wir je erlebt haben werden. Der Einfluss von KI auf unser Leben wird vergleichbar sein mit der Erfindung der Elektrizität. Viele machen intuitiv den Fehler, dass sie die technologische Entwicklung der letzten 20 bis 30 Jahre auf die nächsten 20 bis 30 Jahre projizieren. Wir stehen aber vor einer Innovationskurve, die in den nächsten Jahren eine Steigung haben wird, die wir uns zurzeit kaum vorstellen können – ein historischer Wendepunkt für die Menschheit. In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden wir einen technologischen Fortschritt erleben, der unser gesamtes Leben von Grund auf verändern wird – auf allen Ebenen: Am Schreibtisch, im Ladengeschäft, auf der Straße, in der Luft, im Krankenhaus – im Prinzip jede Sekunde unseres Lebens. 

Weil es hier auf diesem Blog vor allem um Marketing geht: Wo und wie wird KI das Marketing am meisten verändern?

Dirik: Durch KI wird Marketing das erste Mal wirklich und ernsthaft intelligent. KI wird alle relevanten Prozesse im Marketing nahezu vollständig automatisieren. Smarte Systeme werden dem Marketer helfen, schwierige Entscheidungen besser treffen zu können: Wann soll ich welchen Betrag in welche Kampagne zu welcher Uhrzeit investieren, um den maximalen Return on Invest zu erzielen? Marketer werden weniger Zeit für manuelle, monotone Tätigkeiten aufbringen müssen. Sie werden viel mehr Zeit haben für Kreativität, Strategie und Kommunikation – und damit stärker die Fähigkeiten in den Vordergrund rücken, die uns als Menschen ausmachen.

„Noch lassen sich Wettbewerbsvorteile durch KI generieren“

Konsumenten hingegen werden von einer stark gesteigerten Convenience beim Shoppen profitieren und mit Hilfe von KI viel zielgenauer mit wirklich relevanter Werbung angesprochen werden. Ich erhalte zukünftig nicht dieselben Werbeempfehlungen wie alle in der Kategorie „zwischen 30 und 40 Jahre, Uni Abschluss, Besserverdiener“, sondern personalisierte Produktvorschläge für Iskender auf Basis von Iskender’s vergangenem Shoppingverhalten und den individuellen Voraussagen, die ein KI-System für mich berechnet hat. 

Mit welchen Steps sollte ich mich als Marketingmanager auf diese Veränderungen vorbereiten? Oder ist es dafür schon zu spät?

Dirik: Nein, zu spät ist es absolut nicht – und in meiner Meinung nach auch nie. Im Gegenteil: Genau jetzt ist ein super Zeitpunkt. Noch lassen sich Wettbewerbsvorteile durch den geschickten Einsatz von KI generieren. In wenigen Jahren wird das Zeitfenster kleiner und KI wird zum de facto Standard fürs Marketing. Da wird jeder, der KI nicht als Kern seiner Marketingsysteme implementiert hat, schnell dem Markt hinterherhinken.

Was sollte der erste Schritt sein?

Dirik: Der erste Step muss sein zu lernen. Marketingmanager sollten genau jetzt anfangen, sich schleunigst mit dem Thema auseinander zu setzen und sich in diese Thematik einzuarbeiten. Dafür muss keiner einen Deep Learning Kurs machen, sollte aber die Grundlagen von KI verstehen und sich idealerweise täglich auf dem Laufenden halten, was die Entwicklung von KI und vor allem spannende neue Use-Cases im Marketing angeht: So habe ich für Anfänger und leicht Fortgeschrittene unter www.embrace-ai.com eine Website zusammengestellt mit einer ganzen Reihe von Quellen, die jedem helfen, sich in das Thema einzulesen. 

„Daten sind das Benzin für die KI-Algorithmen“

Als zweites empfehle ich zeitnahe Testprojekte aufzusetzen, um die Berührungsangst mit KI-Anwendungen abzuschütteln und Praxiserfahrung zu sammeln. Ein Chatbot ist da zum Beispiel immer eine gute Idee für ein erstes kleines Projekt. 

Des Weiteren sollten Marketingmanager ganz schnell ihrem Team dabei helfen, sich in das Thema einzuarbeiten. Einsteiger-Trainings und Kurse sind da hilfreich. Und ein kostenloser Hands-on Tipp, mit dem jeder direkt loslegen kann: Motiviert Team-Mitglieder, sich in das Thema einzulesen und dem Team regelmäßig, zum Beispiel einmal alle zwei Wochen, ihre Learnings zu präsentieren. 

Andererseits sind viele Unternehmen gerade noch mit der Digitalisierung beschäftigt. Sollten sie diese Transformation nicht erst einmal bewältigen, bevor sie sich mit KI befassen?

Dirik: Genau so ist es. Viele versuchen gerade B zu sagen, bevor sie A gesagt haben. Ich habe ein Pyramidenmodell entwickelt – auch auf embrace-ai.com erhältlich– , das aufzeigt, dass die digitale Transformation die Basis der KI Transformation bildet. Um KI wirkungsvoll zu implementieren, ist eine ganzheitliche digitale DNA im Unternehmen unerlässlich. Und die beginnt mit Daten. Daten sind die wichtigste Zutat für eine erfolgreiche KI-Strategie. Die Datenbanken, Data Warehouses und generell IT-Systeme im Unternehmen müssen alle geschäftsrelevanten Daten effizient sammeln, aufbereiten und kontinuierlich liefern – das ist das notwendige Benzin für KI-Algorithmen. 

Sie sind ein gefragter Referent auf Kongressen. Wenn es um KI geht: Welche Thesen sind für Ihre Zuhörer richtig überraschend?

Dirik: Erstens: Viele sind überrascht, welche Innovationen schon in naher Zukunft unser Leben verändern werden. Das Bewusstsein, wie viel sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren verändern wird, ist bei den meisten nicht wirklich da – ich versuche hier mit Geschichten aufzuzeigen, wie unser Leben in zehn Jahren konkret aussehen kann. 

„Rosiges Bild von der Zukunft mit KI“

Zweitens: Viele Zuhörer denken, dass KI eine neue Erfindung ist – eben weil das Thema gerade so gehyped wird. Tatsächlich wurden KI-Systeme aber schon in den 50er Jahren entwickelt. Der Durchbruch kam erst jetzt, weil wir das erste Mal in der Geschichte der Menschheit auf eine Kombination von einer so hohen Rechenleistung von Computern und einer so großen Menge an Daten zugreifen können. Und wie vorhin schon gesagt: Daten sind das Benzin für KI. 

Drittens: Viele sind überrascht, dass ich ein so positives, teilweise rosiges Bild einer KI-getriebenen Zukunft aufmale. Das heißt aber nicht, dass ich die Risiken nicht sehe oder teile. Ich glaube nur, dass uns Enthusiasmus und das Erkennen der Chancen von KI viel mehr hilft, uns mit dem Thema zu beschäftigen und es für unsere menschlichen Vorteile zu nutzen, als uns von schierer Angst und Schreckenszenarien treiben zu lassen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Iskender Dirik ist Geschäftsführer und CEO von Microsoft ScaleUp in Berlin. ScaleUp ist das exklusivste Startup-Programm bei Microsoft weltweit. Zudem ist er Venture Partner für EQT Ventures, einem der größten Venture Capital Fonds in Europa. Zuvor leitete Iskender als Geschäftsführer bei Bauer Venture Partners einen 100 Mio. Euro Venture Capital Fond. Vor seiner Zeit als Venture Capitalist hat Iskender mehrere Technologie Startups aufgebaut und veräußert.

Iskender Dirik ist einer der Top-Referenten auf dem Founder Summit der Entrepreneur University am 27. und 28. April in Wiesbaden.