Vorsicht vor der "Blackbox KI"

Interview

5 Minuten

26.01.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Martin Brahms

Die große Stärke der KI – die Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig ihre große Schwäche. Denn stimmen die Daten nicht, führt das zwangsläufig zu falschen Entscheidungen. Ein Interview mit Martin Brahm, CSO bei der Schober Information Group, über den Rohstoff "Daten", die Gefahr der falsche Schlüsse und die  Frage, ob man KI auslagern sollte.

Von Google stammt der Satz: „Der Vollautomatisierung von Kampagnen durch Machine Learning gehört die Zukunft.“ Richtig oder falsch?

Martin Brahm: Die Vision von Google weist in die richtige Richtung. KI, ihre Unterdisziplin Machine Learning und Automatisierung, werden für CMOs bei der Lösung der Herausforderungen im Marketing in der Zukunft sicher wichtige, ja unverzichtbare, Bausteine sein. Insofern stimme ich Google voll und ganz zu.

Allerdings unterscheiden sich Visionen und Realität meist mehr oder minder stark voneinander. KI im Marketing liefert viele Hinweise, hilft beim Heben von Datenschätzen und befreit kreative Marketers von Routineaufgaben. Und je größer die Datensätze sind, desto mehr sind Marketers auf KI angewiesen – die Frage „Wer tut wann was?“ lässt sich nicht ohne die Unterstützung smarter Algorithmen beantworten. Doch es lauern auch zahlreiche Fallstricke, die man kennen muss.

Welche wären das?

Brahm: Marketers sollten natürlich wissen, was die KI tut, was diese vermag und wo andere Methoden bessere Ergebnisse versprechen. KI löst nicht alle Probleme. Auch kommt es – gerade beim Machine Learning – auf die Qualität der Lerndatensätze an. KI ist nur so schlau wie die zur Verfügung stehenden Daten; der Marketer mag langsamer sein, aber er ist immer schlauer. Vor allem dann, wenn er KI intelligent einsetzt.

Wo befinden wir uns denn im Moment auf der Zukunftsreise zu einem vollautomatisierten Marketing?

Brahm: Aktuell befinden wir uns in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es werden erste Tests gemacht, ob es gelingt, unfallfrei eine automatische, personalisierte Botschaft zu versenden. Da geht mehr. Dabei hat Machine Learning längst einen festen Platz als Methode bei der Interpretation – oder nennen wir es Raffinierung – der Daten. Unsere eigenen Data Scientisten etwa nutzen die Möglichkeiten intensiv.

Schaut man aber in die Breite, mangelt es oft an grundsätzlichen Voraussetzungen: Informationen verbleiben unverbunden in Silos. Manchmal finden sich Stammdaten in drei und Verhaltensdaten in vier weiteren Quellsystemen, dann braucht man auch keine KI. Wenn diese Silos aber gemappt sind, wird das Marketing einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung machen. Genau hier setzen wir mit "Schober UDO" an.

Der Einsatz von KI benötigt hochwertige Daten. Was sind Ihre Erfahrungen? Haben die Unternehmen diese Daten?

Brahm: Unternehmen haben heute unglaublich viele Daten. Zudem steigt die Anzahl der Touchpoints, an denen Daten erhoben werden können, rasant. Aber viele Daten heißt weder gute Daten noch gute Entscheidungen. Es gilt eher die Gleichung: Viele Datenquellen = viele Probleme. Ja, die Daten gibt es. Aber Unternehmen müssen häufig noch lernen, aus dem Rohstoff wirklichen Kunden- und Geschäftsnutzen zu raffinieren.

Was genau sind denn hochwertige Daten? Wie würden Sie diese definieren?

Brahm: Hochwertige Daten sind zunächst einmal valide Daten, also solche, die geprüft mit der Realität übereinstimmen, aktuell und widerspruchsfrei sind. Eine Telefonnummer ohne Anschluss, eine Bot-Interaktion ohne Nutzer gehören beispielweise nicht dazu. Falsche Daten führen am Ende zu falschen Schlüssen. Das kann besonders bei der Vollautomatisierung zu Problemen führen, denn KI kann ja falsche oder invalide Daten kaum erkennen.

Weiterhin müssen Daten auch relevant sein, sonst haben sie keinen Nutzen. Der Wert hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. So dürfte die Verteilung von Schuhgrößen und Schuhmodellen männlicher Besucher auf der Frankfurter Zeil für Vodafone oder BP nicht von Interesse sein. Deichmann, Görtz oder Salamander werden das ganz anders sehen.

Wie groß ist die Gefahr, dass aufgrund fehlerhafter Daten die KI auch fehlerhafte Strategien vorschlägt?

Brahm: Die Gefahr ist groß, allerdings geht es nicht nur um Daten. Aber zunächst dazu: Bei Schober folgen wir dem Grundsatz „get the basics right“. Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt und keine saubere Datenlandschaft schafft, wird es nicht nur mit KI schwer haben. Aus einer falschen Datengrundlage wird auch der menschliche Entscheider nur falsche Schlüsse ziehen.

Aber es geht eigentlich um mehr als fehlerhafte Daten. Denn die KI schlägt ja keine Strategie vor, sondern ist Teil der Strategie oder bei Google die zentrale Strategie. Dabei gibt es nicht die eine KI, sondern dahinter steckt eine Vielzahl verschiedener Methoden, Verfahren und Technologien.

Was bedeutet das für den Marketer?

Brahm: Der Marketer sollte sich immer bewusst machen: Die große Stärke der KI – explorative Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig eine der größten Schwächen von KI. Fehler oder systematische Verzerrungen in den Daten werden zwangsmäßig als wertvolle Informationen interpretiert und führen zu teuren oder diskriminierenden Fehlschlüssen. So lernen Algorithmen bei Sprachanalysen auch die Klischees und Vorurteile ihrer menschlichen Vorbilder – Garbage in, Garbage out!

Bei Facebook erhöht KI die Interaktion der Nutzer. Das gelingt offensichtlich mit emotionalen und polarisierenden Botschaften besonders gut. Doch will man seine Produkte unbedingt in allen diesen Umfeldern sehen?

Im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob man alles einem Dienstleister übergeben sollte, ob man am besten alles Inhouse macht oder ganz über Google & Facebook laufen lässt. Wie lautet Ihr Rat?

Brahm: Das ist natürlich eine Frage der Ressourcen und des Knowhows im Unternehmen. Idealerweise bewahren sich Unternehmen einen soliden Grad Autonomie und verfügen auch Inhouse über Marketing- und KI-Ressourcen. Allerdings hat das natürlich seine Grenzen, wenn man nicht gleich selbst zum Marketing-Spezialisten werden will. Denn die technologische Entwicklung ist rasant und erfordert entsprechende Anstrengungen.

Insofern ist eine gesunde Mischung aus eigenem Knowhow in Kombination mit einem professionellen Dienstleister die beste Entscheidung. Das ist meine Erfahrung, und darauf deutet auch die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen hin.

Und wie sehen Sie eine vollständige Auslagerung?

Brahm: Bei der kompletten Auslagerung von KI bin ich skeptisch: Die Perspektive, Komplexität zu delegieren, ist natürlich verlockend. Aber das hat gravierende Nachteile: Erstens, den Zugang zur KI der großen Player erkaufen Unternehmen sich durch die Weitergabe ihrer Daten. Damit verlieren sie ihre Datensouveränität und investieren in die Konkurrenzfähigkeit der großen Plattformen statt in den eigenen Marktzugang. Zweitens, die Großen haben nur selten das benötigte Marktwissen für die Individualisierung. Und drittens rechnen sich für sie Algorithmen nicht, mit denen kleine, mittelständische oder regional fokussierte Unternehmen ihre Customer Journey individuell automatisieren könnten.

Kurzum, wir raten jedem Unternehmen ab, die eigene Datenhoheit aus den Händen zu geben und sich einer „Blackbox KI“ anzuvertrauen.

KI spart im Marketing vielleicht Arbeitsplätze, andererseits aber entstehen auch Kosten. Wie ist Ihr Eindruck: Wissen Unternehmen, dass es mit einer größeren Anfangsinvestition nicht getan ist?

Brahm: Unternehmen investieren in die Zukunft, was ja grundsätzlich nicht verkehrt ist. Aber Sie haben natürlich recht, man sollte sich bewusst machen, dass KI laufende Investitionen erfordert. Neue soziale Netzwerke etwa müssen integriert, neue Daten erschlossen, Algorithmen erneuert werden. Es muss aber nicht direkt ein Vermögen kosten. Ob es Arbeitsplätze einspart? Warten wir das mal ab. Ein großes Unternehmen hat das bereits versucht und ist krachend gescheitert. Unternehmen müssen hier ständig neue Fähigkeiten aufbauen, was sicher einen Wandel in vielen Unternehmensbereichen erforderlich macht. 

Welche Fehler sollten beim Einsatz von KI tunlichst vermieden werden?

Brahm: Alles beginnt bei den Daten, also achten Sie zunächst auf die Datenqualität. Hier zahlt sich jeder Euro aus. Fragen Sie sich auch, ob KI die Methode der Wahl ist – geht es um eine explorative Analyse, dann liegen Sie mit KI genau richtig. Wenn Sie aber eine konkrete Fragestellung oder Hypothese haben, brauchen Sie vielleicht eine andere Methode. Bauen Sie eigenes Knowhow auf und vermeiden Sie die Implementierung einer „Blackbox KI“ – und gehen Sie kritisch mit den Empfehlungen um, die KI Ihnen liefert. Und zuletzt: Nutzen Sie Technologie, die Ihre Datensouveränität respektiert, investieren Sie in Ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit statt in die der großen Datenkonzerne.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Martin Brahm, Chief Sales Officer (CSO) bei der Schober Information Group Deutschland GmbH, ist seit vier Jahren im Unternehmen tätig und verantwortet die Bereiche Sales, Marketing und Analyse/Data Science. Seit 2017 ist er Teil der operativen Geschäftsleitung.


Vorsicht vor der "Blackbox KI"

Interview

5 Minuten

26.01.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Martin Brahms

Die große Stärke der KI – die Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig ihre große Schwäche. Denn stimmen die Daten nicht, führt das zwangsläufig zu falschen Entscheidungen. Ein Interview mit Martin Brahm, CSO bei der Schober Information Group, über den Rohstoff "Daten", die Gefahr der falsche Schlüsse und die  Frage, ob man KI auslagern sollte.

Von Google stammt der Satz: „Der Vollautomatisierung von Kampagnen durch Machine Learning gehört die Zukunft.“ Richtig oder falsch?

Martin Brahm: Die Vision von Google weist in die richtige Richtung. KI, ihre Unterdisziplin Machine Learning und Automatisierung, werden für CMOs bei der Lösung der Herausforderungen im Marketing in der Zukunft sicher wichtige, ja unverzichtbare, Bausteine sein. Insofern stimme ich Google voll und ganz zu.

Allerdings unterscheiden sich Visionen und Realität meist mehr oder minder stark voneinander. KI im Marketing liefert viele Hinweise, hilft beim Heben von Datenschätzen und befreit kreative Marketers von Routineaufgaben. Und je größer die Datensätze sind, desto mehr sind Marketers auf KI angewiesen – die Frage „Wer tut wann was?“ lässt sich nicht ohne die Unterstützung smarter Algorithmen beantworten. Doch es lauern auch zahlreiche Fallstricke, die man kennen muss.

Welche wären das?

Brahm: Marketers sollten natürlich wissen, was die KI tut, was diese vermag und wo andere Methoden bessere Ergebnisse versprechen. KI löst nicht alle Probleme. Auch kommt es – gerade beim Machine Learning – auf die Qualität der Lerndatensätze an. KI ist nur so schlau wie die zur Verfügung stehenden Daten; der Marketer mag langsamer sein, aber er ist immer schlauer. Vor allem dann, wenn er KI intelligent einsetzt.

Wo befinden wir uns denn im Moment auf der Zukunftsreise zu einem vollautomatisierten Marketing?

Brahm: Aktuell befinden wir uns in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es werden erste Tests gemacht, ob es gelingt, unfallfrei eine automatische, personalisierte Botschaft zu versenden. Da geht mehr. Dabei hat Machine Learning längst einen festen Platz als Methode bei der Interpretation – oder nennen wir es Raffinierung – der Daten. Unsere eigenen Data Scientisten etwa nutzen die Möglichkeiten intensiv.

Schaut man aber in die Breite, mangelt es oft an grundsätzlichen Voraussetzungen: Informationen verbleiben unverbunden in Silos. Manchmal finden sich Stammdaten in drei und Verhaltensdaten in vier weiteren Quellsystemen, dann braucht man auch keine KI. Wenn diese Silos aber gemappt sind, wird das Marketing einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung machen. Genau hier setzen wir mit "Schober UDO" an.

Der Einsatz von KI benötigt hochwertige Daten. Was sind Ihre Erfahrungen? Haben die Unternehmen diese Daten?

Brahm: Unternehmen haben heute unglaublich viele Daten. Zudem steigt die Anzahl der Touchpoints, an denen Daten erhoben werden können, rasant. Aber viele Daten heißt weder gute Daten noch gute Entscheidungen. Es gilt eher die Gleichung: Viele Datenquellen = viele Probleme. Ja, die Daten gibt es. Aber Unternehmen müssen häufig noch lernen, aus dem Rohstoff wirklichen Kunden- und Geschäftsnutzen zu raffinieren.

Was genau sind denn hochwertige Daten? Wie würden Sie diese definieren?

Brahm: Hochwertige Daten sind zunächst einmal valide Daten, also solche, die geprüft mit der Realität übereinstimmen, aktuell und widerspruchsfrei sind. Eine Telefonnummer ohne Anschluss, eine Bot-Interaktion ohne Nutzer gehören beispielweise nicht dazu. Falsche Daten führen am Ende zu falschen Schlüssen. Das kann besonders bei der Vollautomatisierung zu Problemen führen, denn KI kann ja falsche oder invalide Daten kaum erkennen.

Weiterhin müssen Daten auch relevant sein, sonst haben sie keinen Nutzen. Der Wert hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. So dürfte die Verteilung von Schuhgrößen und Schuhmodellen männlicher Besucher auf der Frankfurter Zeil für Vodafone oder BP nicht von Interesse sein. Deichmann, Görtz oder Salamander werden das ganz anders sehen.

Wie groß ist die Gefahr, dass aufgrund fehlerhafter Daten die KI auch fehlerhafte Strategien vorschlägt?

Brahm: Die Gefahr ist groß, allerdings geht es nicht nur um Daten. Aber zunächst dazu: Bei Schober folgen wir dem Grundsatz „get the basics right“. Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt und keine saubere Datenlandschaft schafft, wird es nicht nur mit KI schwer haben. Aus einer falschen Datengrundlage wird auch der menschliche Entscheider nur falsche Schlüsse ziehen.

Aber es geht eigentlich um mehr als fehlerhafte Daten. Denn die KI schlägt ja keine Strategie vor, sondern ist Teil der Strategie oder bei Google die zentrale Strategie. Dabei gibt es nicht die eine KI, sondern dahinter steckt eine Vielzahl verschiedener Methoden, Verfahren und Technologien.

Was bedeutet das für den Marketer?

Brahm: Der Marketer sollte sich immer bewusst machen: Die große Stärke der KI – explorative Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig eine der größten Schwächen von KI. Fehler oder systematische Verzerrungen in den Daten werden zwangsmäßig als wertvolle Informationen interpretiert und führen zu teuren oder diskriminierenden Fehlschlüssen. So lernen Algorithmen bei Sprachanalysen auch die Klischees und Vorurteile ihrer menschlichen Vorbilder – Garbage in, Garbage out!

Bei Facebook erhöht KI die Interaktion der Nutzer. Das gelingt offensichtlich mit emotionalen und polarisierenden Botschaften besonders gut. Doch will man seine Produkte unbedingt in allen diesen Umfeldern sehen?

Im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob man alles einem Dienstleister übergeben sollte, ob man am besten alles Inhouse macht oder ganz über Google & Facebook laufen lässt. Wie lautet Ihr Rat?

Brahm: Das ist natürlich eine Frage der Ressourcen und des Knowhows im Unternehmen. Idealerweise bewahren sich Unternehmen einen soliden Grad Autonomie und verfügen auch Inhouse über Marketing- und KI-Ressourcen. Allerdings hat das natürlich seine Grenzen, wenn man nicht gleich selbst zum Marketing-Spezialisten werden will. Denn die technologische Entwicklung ist rasant und erfordert entsprechende Anstrengungen.

Insofern ist eine gesunde Mischung aus eigenem Knowhow in Kombination mit einem professionellen Dienstleister die beste Entscheidung. Das ist meine Erfahrung, und darauf deutet auch die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen hin.

Und wie sehen Sie eine vollständige Auslagerung?

Brahm: Bei der kompletten Auslagerung von KI bin ich skeptisch: Die Perspektive, Komplexität zu delegieren, ist natürlich verlockend. Aber das hat gravierende Nachteile: Erstens, den Zugang zur KI der großen Player erkaufen Unternehmen sich durch die Weitergabe ihrer Daten. Damit verlieren sie ihre Datensouveränität und investieren in die Konkurrenzfähigkeit der großen Plattformen statt in den eigenen Marktzugang. Zweitens, die Großen haben nur selten das benötigte Marktwissen für die Individualisierung. Und drittens rechnen sich für sie Algorithmen nicht, mit denen kleine, mittelständische oder regional fokussierte Unternehmen ihre Customer Journey individuell automatisieren könnten.

Kurzum, wir raten jedem Unternehmen ab, die eigene Datenhoheit aus den Händen zu geben und sich einer „Blackbox KI“ anzuvertrauen.

KI spart im Marketing vielleicht Arbeitsplätze, andererseits aber entstehen auch Kosten. Wie ist Ihr Eindruck: Wissen Unternehmen, dass es mit einer größeren Anfangsinvestition nicht getan ist?

Brahm: Unternehmen investieren in die Zukunft, was ja grundsätzlich nicht verkehrt ist. Aber Sie haben natürlich recht, man sollte sich bewusst machen, dass KI laufende Investitionen erfordert. Neue soziale Netzwerke etwa müssen integriert, neue Daten erschlossen, Algorithmen erneuert werden. Es muss aber nicht direkt ein Vermögen kosten. Ob es Arbeitsplätze einspart? Warten wir das mal ab. Ein großes Unternehmen hat das bereits versucht und ist krachend gescheitert. Unternehmen müssen hier ständig neue Fähigkeiten aufbauen, was sicher einen Wandel in vielen Unternehmensbereichen erforderlich macht. 

Welche Fehler sollten beim Einsatz von KI tunlichst vermieden werden?

Brahm: Alles beginnt bei den Daten, also achten Sie zunächst auf die Datenqualität. Hier zahlt sich jeder Euro aus. Fragen Sie sich auch, ob KI die Methode der Wahl ist – geht es um eine explorative Analyse, dann liegen Sie mit KI genau richtig. Wenn Sie aber eine konkrete Fragestellung oder Hypothese haben, brauchen Sie vielleicht eine andere Methode. Bauen Sie eigenes Knowhow auf und vermeiden Sie die Implementierung einer „Blackbox KI“ – und gehen Sie kritisch mit den Empfehlungen um, die KI Ihnen liefert. Und zuletzt: Nutzen Sie Technologie, die Ihre Datensouveränität respektiert, investieren Sie in Ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit statt in die der großen Datenkonzerne.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Martin Brahm, Chief Sales Officer (CSO) bei der Schober Information Group Deutschland GmbH, ist seit vier Jahren im Unternehmen tätig und verantwortet die Bereiche Sales, Marketing und Analyse/Data Science. Seit 2017 ist er Teil der operativen Geschäftsleitung.


Vorsicht vor der "Blackbox KI"

Interview

5 Minuten

26.01.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Martin Brahms

Die große Stärke der KI – die Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig ihre große Schwäche. Denn stimmen die Daten nicht, führt das zwangsläufig zu falschen Entscheidungen. Ein Interview mit Martin Brahm, CSO bei der Schober Information Group, über den Rohstoff "Daten", die Gefahr der falsche Schlüsse und die  Frage, ob man KI auslagern sollte.

Von Google stammt der Satz: „Der Vollautomatisierung von Kampagnen durch Machine Learning gehört die Zukunft.“ Richtig oder falsch?

Martin Brahm: Die Vision von Google weist in die richtige Richtung. KI, ihre Unterdisziplin Machine Learning und Automatisierung, werden für CMOs bei der Lösung der Herausforderungen im Marketing in der Zukunft sicher wichtige, ja unverzichtbare, Bausteine sein. Insofern stimme ich Google voll und ganz zu.

Allerdings unterscheiden sich Visionen und Realität meist mehr oder minder stark voneinander. KI im Marketing liefert viele Hinweise, hilft beim Heben von Datenschätzen und befreit kreative Marketers von Routineaufgaben. Und je größer die Datensätze sind, desto mehr sind Marketers auf KI angewiesen – die Frage „Wer tut wann was?“ lässt sich nicht ohne die Unterstützung smarter Algorithmen beantworten. Doch es lauern auch zahlreiche Fallstricke, die man kennen muss.

Welche wären das?

Brahm: Marketers sollten natürlich wissen, was die KI tut, was diese vermag und wo andere Methoden bessere Ergebnisse versprechen. KI löst nicht alle Probleme. Auch kommt es – gerade beim Machine Learning – auf die Qualität der Lerndatensätze an. KI ist nur so schlau wie die zur Verfügung stehenden Daten; der Marketer mag langsamer sein, aber er ist immer schlauer. Vor allem dann, wenn er KI intelligent einsetzt.

Wo befinden wir uns denn im Moment auf der Zukunftsreise zu einem vollautomatisierten Marketing?

Brahm: Aktuell befinden wir uns in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Es werden erste Tests gemacht, ob es gelingt, unfallfrei eine automatische, personalisierte Botschaft zu versenden. Da geht mehr. Dabei hat Machine Learning längst einen festen Platz als Methode bei der Interpretation – oder nennen wir es Raffinierung – der Daten. Unsere eigenen Data Scientisten etwa nutzen die Möglichkeiten intensiv.

Schaut man aber in die Breite, mangelt es oft an grundsätzlichen Voraussetzungen: Informationen verbleiben unverbunden in Silos. Manchmal finden sich Stammdaten in drei und Verhaltensdaten in vier weiteren Quellsystemen, dann braucht man auch keine KI. Wenn diese Silos aber gemappt sind, wird das Marketing einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung machen. Genau hier setzen wir mit "Schober UDO" an.

Der Einsatz von KI benötigt hochwertige Daten. Was sind Ihre Erfahrungen? Haben die Unternehmen diese Daten?

Brahm: Unternehmen haben heute unglaublich viele Daten. Zudem steigt die Anzahl der Touchpoints, an denen Daten erhoben werden können, rasant. Aber viele Daten heißt weder gute Daten noch gute Entscheidungen. Es gilt eher die Gleichung: Viele Datenquellen = viele Probleme. Ja, die Daten gibt es. Aber Unternehmen müssen häufig noch lernen, aus dem Rohstoff wirklichen Kunden- und Geschäftsnutzen zu raffinieren.

Was genau sind denn hochwertige Daten? Wie würden Sie diese definieren?

Brahm: Hochwertige Daten sind zunächst einmal valide Daten, also solche, die geprüft mit der Realität übereinstimmen, aktuell und widerspruchsfrei sind. Eine Telefonnummer ohne Anschluss, eine Bot-Interaktion ohne Nutzer gehören beispielweise nicht dazu. Falsche Daten führen am Ende zu falschen Schlüssen. Das kann besonders bei der Vollautomatisierung zu Problemen führen, denn KI kann ja falsche oder invalide Daten kaum erkennen.

Weiterhin müssen Daten auch relevant sein, sonst haben sie keinen Nutzen. Der Wert hängt von der jeweiligen Fragestellung ab. So dürfte die Verteilung von Schuhgrößen und Schuhmodellen männlicher Besucher auf der Frankfurter Zeil für Vodafone oder BP nicht von Interesse sein. Deichmann, Görtz oder Salamander werden das ganz anders sehen.

Wie groß ist die Gefahr, dass aufgrund fehlerhafter Daten die KI auch fehlerhafte Strategien vorschlägt?

Brahm: Die Gefahr ist groß, allerdings geht es nicht nur um Daten. Aber zunächst dazu: Bei Schober folgen wir dem Grundsatz „get the basics right“. Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt und keine saubere Datenlandschaft schafft, wird es nicht nur mit KI schwer haben. Aus einer falschen Datengrundlage wird auch der menschliche Entscheider nur falsche Schlüsse ziehen.

Aber es geht eigentlich um mehr als fehlerhafte Daten. Denn die KI schlägt ja keine Strategie vor, sondern ist Teil der Strategie oder bei Google die zentrale Strategie. Dabei gibt es nicht die eine KI, sondern dahinter steckt eine Vielzahl verschiedener Methoden, Verfahren und Technologien.

Was bedeutet das für den Marketer?

Brahm: Der Marketer sollte sich immer bewusst machen: Die große Stärke der KI – explorative Analyse aus großen Datenmengen – ist gleichzeitig eine der größten Schwächen von KI. Fehler oder systematische Verzerrungen in den Daten werden zwangsmäßig als wertvolle Informationen interpretiert und führen zu teuren oder diskriminierenden Fehlschlüssen. So lernen Algorithmen bei Sprachanalysen auch die Klischees und Vorurteile ihrer menschlichen Vorbilder – Garbage in, Garbage out!

Bei Facebook erhöht KI die Interaktion der Nutzer. Das gelingt offensichtlich mit emotionalen und polarisierenden Botschaften besonders gut. Doch will man seine Produkte unbedingt in allen diesen Umfeldern sehen?

Im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI wird auch immer wieder darüber diskutiert, ob man alles einem Dienstleister übergeben sollte, ob man am besten alles Inhouse macht oder ganz über Google & Facebook laufen lässt. Wie lautet Ihr Rat?

Brahm: Das ist natürlich eine Frage der Ressourcen und des Knowhows im Unternehmen. Idealerweise bewahren sich Unternehmen einen soliden Grad Autonomie und verfügen auch Inhouse über Marketing- und KI-Ressourcen. Allerdings hat das natürlich seine Grenzen, wenn man nicht gleich selbst zum Marketing-Spezialisten werden will. Denn die technologische Entwicklung ist rasant und erfordert entsprechende Anstrengungen.

Insofern ist eine gesunde Mischung aus eigenem Knowhow in Kombination mit einem professionellen Dienstleister die beste Entscheidung. Das ist meine Erfahrung, und darauf deutet auch die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen hin.

Und wie sehen Sie eine vollständige Auslagerung?

Brahm: Bei der kompletten Auslagerung von KI bin ich skeptisch: Die Perspektive, Komplexität zu delegieren, ist natürlich verlockend. Aber das hat gravierende Nachteile: Erstens, den Zugang zur KI der großen Player erkaufen Unternehmen sich durch die Weitergabe ihrer Daten. Damit verlieren sie ihre Datensouveränität und investieren in die Konkurrenzfähigkeit der großen Plattformen statt in den eigenen Marktzugang. Zweitens, die Großen haben nur selten das benötigte Marktwissen für die Individualisierung. Und drittens rechnen sich für sie Algorithmen nicht, mit denen kleine, mittelständische oder regional fokussierte Unternehmen ihre Customer Journey individuell automatisieren könnten.

Kurzum, wir raten jedem Unternehmen ab, die eigene Datenhoheit aus den Händen zu geben und sich einer „Blackbox KI“ anzuvertrauen.

KI spart im Marketing vielleicht Arbeitsplätze, andererseits aber entstehen auch Kosten. Wie ist Ihr Eindruck: Wissen Unternehmen, dass es mit einer größeren Anfangsinvestition nicht getan ist?

Brahm: Unternehmen investieren in die Zukunft, was ja grundsätzlich nicht verkehrt ist. Aber Sie haben natürlich recht, man sollte sich bewusst machen, dass KI laufende Investitionen erfordert. Neue soziale Netzwerke etwa müssen integriert, neue Daten erschlossen, Algorithmen erneuert werden. Es muss aber nicht direkt ein Vermögen kosten. Ob es Arbeitsplätze einspart? Warten wir das mal ab. Ein großes Unternehmen hat das bereits versucht und ist krachend gescheitert. Unternehmen müssen hier ständig neue Fähigkeiten aufbauen, was sicher einen Wandel in vielen Unternehmensbereichen erforderlich macht. 

Welche Fehler sollten beim Einsatz von KI tunlichst vermieden werden?

Brahm: Alles beginnt bei den Daten, also achten Sie zunächst auf die Datenqualität. Hier zahlt sich jeder Euro aus. Fragen Sie sich auch, ob KI die Methode der Wahl ist – geht es um eine explorative Analyse, dann liegen Sie mit KI genau richtig. Wenn Sie aber eine konkrete Fragestellung oder Hypothese haben, brauchen Sie vielleicht eine andere Methode. Bauen Sie eigenes Knowhow auf und vermeiden Sie die Implementierung einer „Blackbox KI“ – und gehen Sie kritisch mit den Empfehlungen um, die KI Ihnen liefert. Und zuletzt: Nutzen Sie Technologie, die Ihre Datensouveränität respektiert, investieren Sie in Ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit statt in die der großen Datenkonzerne.

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