Uwe Munzinger: „Alexa könnte Markenkiller sein“

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die bisherigen Spielregeln der Markenführung nachhaltig zu verändern, sagt Uwe Munzinger, Geschäftsführer der Markenberatung Sasserath Munzinger Plus im Interview. Denn es wird eine Herausforderung sein, nicht mehr nur in das Relevant Set von Menschen zu kommen. Sondern in das Relevant Set von Algorithmen.

Künstliche Intelligenz gilt als einer der wichtigsten Marketing-Trends der kommenden Jahre. In welchen Bereichen wird KI schon bald ganz selbstverständlich genutzt werden?

Uwe Munzinger: KI gibt es zwar schon lange, aber der intensive Diskurs um künstliche Intelligenz hat gerade erst begonnen. Ich sehe KI nicht als Marketing Trend, sondern als eine Technologie, die sich – unter anderem –  extrem gut dazu eignet, die individuelle Ansprache in Kommunikation, Produkt und Service zu perfektionieren und zu skalieren. Ich glaube nicht, dass KI oder Nachfolgetechnologien irgendwann nicht mehr relevant sein könnten. KI ist gekommen um zu bleiben.

KI ist längst in vielen Bereichen unseres Alltags präsent. Empfehlungs-KI funktioniert seit Jahren bei Amazon oder Netflix sehr gut. Personalisierter Content, Chatbots im Kundenservice und Conversational KI, wie sie beispielweise Alexa nutzt, werden immer selbstverständlicher. Ein anderes Anwendungsbeispiel ist die Auswertung von großen Datenmengen über KI-Tools, um daraus Muster zu erschließen, die im Unternehmen gewinnbringend eingesetzt werden können. Beinahe täglich werden neue KI-Anwendungen gelauncht. Es gibt so gut wie keine Branche, die nicht von KI betroffen ist.

Inwiefern wird denn KI auch Einfluss auf Marken nehmen?

Munzinger: KI verändert die Märkte und die Spielregen in der Markenführung. Marken bieten sich vielfältige neue Möglichkeiten, Kundenbedürfnisse und -verhalten besser zu erkennen und besser zu befriedigen. Dafür müssen Marken die neuen Technologien verstehen und für sich nutzen. KI hat allerdings auch das Potential, die bisherigen „Spielregeln“ der Markenführung nachhaltig zu ändern. Es wird zukünftig eine Herausforderung sein, nicht mehr nur in das Relevant Set von Menschen zu gelangen, sondern in das Relevant Set von Algorithmen. Alexa & Co könnten die „Markenkiller“ sein, die als Gatekeeper nur noch wenige und bevorzugt eigene Marken unterstützen. Gerade der habitualisierte Kauf von FMCG-Marken wird nicht mehr jedes Mal aufs Neue abgewogen, sondern durch eine sprachliche Anweisung vom Kunden oder durch den Algorithmus automatisch durchgeführt. Marken haben dann kaum mehr die Möglichkeit, Präferenzen auf klassischer Art und Weise zu bilden.

Was bedeutet das für die CMOs?

Munzinger: Für CMOs bedeutet KI vor allem, sich permanent mit neuen Technologien und Möglichkeiten auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, welche Auswirkungen sich durch KI für den Kunden, das eigene Geschäft, aber auch Gesellschaft und Wirtschaft ergeben. Kurzfristig kann KI die Verlagerung von Routinetätigkeiten auf schöpferische  Aktivitäten bewirken. Alltägliche Routine-Entscheidungen werden zunehmend von Algorithmen erledigt – wie beispielsweise Programmatic Buying. Der CMO und sein Team bekommen mehr Raum für Kreativität und Innovation. CMOs und ihre Teams sind vor allem die Brücke zwischen fortschrittlicher Technologie und menschlichen Bedürfnissen und Verhalten.

Ist das Thema KI Deiner Einschätzung nach schon bei den Markenverantwortlichen angekommen? Oder hält man es eher für eine Entwicklung, die erst in ferner Zukunft das Marketing beeinflussen wird?

Munzinger: Das Thema ist definitiv angekommen. Jeder spürt, das sich gerade sehr viel sehr schnell ändert. Allerdings herrscht auch eine große Unsicherheit, wie genau sich KI und neue Technologien effizient und intelligent nutzen lassen. Das gilt für das Thema Big Data (wie schaffe ich es, aus der riesigen Menge an Daten, die jeder sammelt, Nutzen stiftende Informationen zu generieren?) genauso wie für den Umgang mit Voice (wie komme ich in das Relevant Set von Alexa & Co?) und der erdrückenden Dominanz weniger Anbieter in E-Commerce und Internetwerbung.

„Künstliche Intelligenz: Gamechanger für die Markenführung“ heißt die Konferenz, die der GEM Markendialog im März durchführt. Wirklich Gamechanger? Ist das nicht ein wenig dick aufgetragen?

Munzinger: Eher dünn…ich denke, KI wird die Markenführung so nachhaltig verändern wie kaum eine andere Technologie zuvor. KI wird die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, sich informieren, interagieren, Marken begegnen und wählen, radikal verändern. Niemand weiß heute wirklich genau, welche Anwendungen und Szenarien durch KI in fünf Jahren realisierbar sind, aber alle spüren, dass gravierende Veränderungen technischer, rechtlicher, ethischer und sozioökonomischer Natur, die uns alle betreffen, jetzt passieren. Durch KI steht uns ein Umbruch bevor, der sich mit der industrielle Revolution vergleichen lässt.

Was ist der Anspruch der Konferenz?

Munzinger: Der Anspruch der Konferenz ist es, Markenverantwortliche mit den aktuellen Themen und unterschiedliche Konzepten rund um KI und Markenführung aus Sicht von Praxis und Wissenschaft vertraut zu machen, Lösungsansätze zu präsentieren und – gerne auch kontrovers – zu diskutieren.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Uwe Munzinger ist Gründer und Geschäftsführer der Marken- Kultur- und Innovationsberatung Sasserath Munzinger Plus, Berlin. Munzinger ist zudem Vorstand in der Gesellschaft zur Erforschung des Markenwesens (GEM), die am 21. März in Berlin den 23. G·E·M Markendialog ausrichtet. Die Konferenz steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Künstliche Intelligenz – Game-Changer für die Markenführung„. Während des Tages werden unterschiedliche Konzepte rund um Künstliche Intelligenz und Markenführung vorgestellt und – gerne auch kontrovers – diskutiert. Zu den Referenten zählt u.a. Petri Kokko, Managing Director von Google Germany.