"Chatbots nähern sich Menschen an"

Interview

5 Minuten

06.02.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Yoav Barel

Chatbots lösen längst vielfach mehr als nur einfache kommunikative Aufgaben. Die virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der menschlichen Dialogfähigkeit an. Ein Gespräch mit dem internationalen Chatbot-Experten und Bot-Entwickler Yoav Barel über Unternehmen, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen, Herausforderungen wie Sprachbiometrie sowie die Top-Trends der kommenden Monate.

Herr Barel, Voicebots und Künstliche Intelligenz haben ihren Weg in die Call-Center gefunden. Welche Aufgaben nehmen sie dort in der Regel bereits wahr?

Yoav Barel: Die Anwendung von Chatbots fängt zunächst dort an, wo sie einfache Probleme und Aufgaben lösen: Ein einfaches Beispiel ist das Call-Routing. Hier geht es um die Suche nach dem richtigen Agenten zum Lösen des jeweiligen Problems. Die Plattform “Maven” von LivePerson hat sich beispielsweise genau darauf spezialisiert. Das KI-gestützte Routing von Maven leitet Gespräche intelligent an den passenden Agenten, Bot oder den gesuchten Inhalt weiter. Dadurch erfolgt eine schnelle Bearbeitung der Kundenanfragen, die auf dem Verständnis der KI für kontextuelle Informationen basiert. Dazu zählen Profilinformationen der Kundinnen und Kunden, die Interaktionshistorie und der Contact-Center-Betrieb.

Die Produktivität von Agenten in Call Centern wird auch mithilfe von bestimmten KI-Software-Tools vorangetrieben. Zum Beispiel steigert das Start-up Reps.AI mit seiner KI die Produktivität der menschlichen Mitarbeiter.

Welche Beispiele spielen Ihrer Meinung nach eine Vorreiterrolle?

Barel: Im Bereich von Schönheitsprodukten stellen mittlerweile einige Onlineshops grundlegende Produktdetails und Preise bereit. Die Kosmetikkette Sephora setzt beispielsweise in der Kundenkommunikation auf einen Chatbot über den Facebook Messenger. Das Kleinunternehmen Circle Medical wiederum nutzt einen Chatbot für die Terminvereinbarung. Und die Versicherungsgesellschaft Helvetia setzt einen Chatbot bei der Zahlungsabwicklung ein, der gleichzeitig die Versicherungsansprüche von Kunden bearbeitet.

Chatbots und Sprachassistenten können Kundenanfragen in Sekundenschnelle  beantworten. Sie bieten einen 24-stündigen Service und bauen aufgrund der natürlichen Sprachverarbeitung ein nahezu menschliches Gespräch auf. Die Antworten der Conversational AI basieren dabei auf den Reaktionen des Kunden auf frühere Fragen. 

Das alles ist nur ein erster Schritt in einer rasanten technologischen Entwicklung. Wo stehen wir in den nächsten Jahren? Was kommt auf uns zu?

Barel: Das Ziel der Entwicklung ist letztendlich, dass ein menschlicher Mitarbeiter nur noch an einem Prozent der Interaktionen beteiligt sein wird. Größtenteils erledigen dann Chatbots, Voice AI und AR/ VR die Aufgaben – bis es allerdings soweit ist, steht noch die ein oder andere Herausforderung an.

Welche Herausforderungen sind das?

Barel: Zunächst ist es wichtig, dass ein fehlerfreies Call-Routing gewährleistet wird – sowohl im Messaging als auch bei der Voice AI. Die Automatisierung vieler einfacher und repetitiver Aufgaben sollte ebenfalls rasch erfolgen – dazu zählen die Erfassung von Kundenfeedback, die Reaktion auf Kundenbewertungen und die Speicherung und Verarbeitung von Kundendaten. Dritter Punkt: Das Erkennen von Emotionen. Das dient zur Vorhersage von potentiellen Eskalationen in der Kommunikation mit den Kunden. Die emotionale Verfassung des Menschen soll dabei aus seinem Gesicht abgeleitet werden. Daraus kann wiederum der menschliche Mitarbeiter Schlüsse ableiten, wie die Kommunikation mit dem Kunden möglichst effizient ablaufen könnte.

Eine weitere Herausforderung: Die Sprachbiometrie. Sie verwendet Sprachmuster, um eine eindeutige Identifizierung für jeden Einzelnen zu ermöglichen. Dazu zählen die Erkennung von Aussprache, Hervorhebung, Sprechgeschwindigkeit und Akzent. Somit stellt die eigene Sprache eine weitere Authentifizierungsstufe für die Online-Profile der Nutzer unter anderem im Banken- und Versicherungssektor dar.  Automatische Spracherkennungssysteme werden ebenfalls fortlaufend verbessert, sodass sie in der Lage sind, zahlreiche Dialekte und mehrere Sprachen zu verstehen.

Kurzum: Die Reaktionen der virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der natürlichen Kommunikation an. Hinzu kommen in Zukunft reibungslosere Abläufe, sodass sich das Gespräch mit einem KI-Assistenten viel natürlicher anfühlen wird als heute. Ein Beispiel ist die Google WaveNet-Technologie, die allerdings nur den Anfang darstellt. Auch Conversational AI wird sich stetig weiterentwickeln. Vor allem um Lösungen für komplexere Fragen anzubieten, wobei Faktoren wie die Phase der Customer Journey, die Persönlichkeit des Benutzers und der Tonfall berücksichtigt werden.

Als Ergebnis dieser Entwicklungen erwarte ich auch, dass immer mehr große Unternehmen wie Vodafone Bots auf den Markt bringen. Auch kleine Unternehmen werden Chatbots in ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten integrieren. Darüber hinaus werden immer mehr Unternehmen entstehen, die sich mit der Gesprächsführung in der KI befassen.

Was bedeutet das? Gehören damit die minutenlangen nervigen Warteschleifen schon bald der Vergangenheit an?

Barel: Die Generation Z kennt Telefonzellen mittlerweile nicht mehr – die nächste Generation wird nicht mehr wissen, was Warteschleifen sind. Dennoch: Es liegt an der Innovationskraft der Unternehmen und Entwickler, ob diese Zukunftsmusik letztendlich Realität wird.

Lästige Warteschleifen werden bereits heute in einigen Unternehmen eliminiert. Das Versicherungsunternehmen Lemonade, ein dialogorientiertes KI-First-Unternehmen, nutzt einen Bot, der Schadensfälle innerhalb von drei Sekunden bearbeiten kann – ein Weltrekord in der Schadensbearbeitung. Im Bankensektor hat Bradesco, eine der größten Banken Brasiliens, die Antwortzeiten für Kundenanfragen von zehn Minuten auf wenige Sekunden seit dem Einsatz von Chatbots in der Kundenbetreuung verkürzt.

Google rollt gerade Duplex international aus: Ist es denkbar, dass schon bald der Voice-Aissistent mit einem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert und damit meine persönlichen Fragen erledigt?

Barel: Ursprünglich wurde Duplex für Restaurantreservierungen verwendet, wobei sich Duplex mit den Restaurantmitarbeitenden über den Google Assistant unterhalten sollte. Seitdem Duplex auf Chrome veröffentlicht wurde, ist es aber auch möglich, Kinotickets im Internet zu buchen, wobei die Buchung der Sitzplätze mithilfe von textbasierten Antworten erfolgt. Da die Fähigkeiten von Duplex voraussichtlich weiter wachsen werden, erwarte ich, dass auch Voice-First-Anwendungen entwickelt und bestehende Bots sprachaktiviert werden. Daher ist die Vorstellung, dass der Sprachassistent eines Verbrauchers schon bald mit dem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert, nicht unbedingt mehr Zukunftsmusik.

Unternehmen arbeiten derzeit intensiv daran, dass Bots auch Emotionen erkennen können. Dann, so die Überlegung, könnte man noch sensibler und genauer auf die Wünsche und Fragen des Kunden reagieren. 

Barel: In diesem Bereich werden bereits große Fortschritte erzielt. Das Spin-off Affectiva des MIT Media Lab hat kürzlich ein neuronales Netzwerk, SoundNet, vorgestellt. Das Netzwerk kann Wut in nur 1,2 Sekunden aus Audiodaten erkennen – der Mensch benötigt mehr Zeit. Ein weiteres Beispiel ist Sestek, das KI-basierte Benutzeranalysen in Call Centern anbietet. In den Call Centern werden dann Sprachanalysesoftware verwendet, um aufgezeichnete Gespräche zu transkribieren und Kundenemotionen zu analysieren.

Die Krankenkasse Humana hat die Speicherung und Verarbeitung von Voice Analytics in ihr Call Center integriert. Damit erzielte Humana eine Steigerung der Kundenzufriedenheit um 28 Prozent und des Mitarbeiterengagements um 63 Prozent. Cogito, ein amerikanisches Startup-Unternehmen, startete Cogito-Dialog, das Sprachsignale analysiert, um Dinge wie Kundenbindung und Frustration zu bestimmen. Die Software gibt den Call-Center-Mitarbeitern während der Gespräche ein Echtzeit-Feedback, das es ihnen ermöglicht, ihre Vorgehensweise anzupassen.

Im Bereich der psychischen Gesundheit sehen wir ebenfalls bereits eine Reihe von Bots, die eingesetzt werden, um die Nutzer bei Fragen rund um psychische Gesundheit zu unterstützen. Der Chatbot Tess der X2 KI ist beispielsweise in der Lage, den Benutzern die gleichen Ratschläge zu geben, die auch von klinischen Psychologen gegeben werden.

Mitte Dezember fand in Berlin der Chatbot Summit statt, dessen Gründer und CEO Sie sind. Was sind die Top-Trends des kommenden Jahres?

Barel: Obwohl der anfängliche Hype um Chatbots gesunken ist, erkennen Unternehmen zunehmend den Mehrwert, den ihnen die Implementierung von Conversational AI in den Kundenservice und andere Aktivitäten bringt. Kundendaten werden verstärkt wiederverwendet, um sicherzustellen, dass die Fragen der Kunden individueller beantwortet werden – unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Daten, Vorlieben, Abneigungen und früheren Entscheidungen.

Derzeit befindet sich zudem die Konvertierung von Text in menschenähnliche Sprache in der Entwicklung. Mit Produkten wie der Google Cloud, die Text in Sprache in mehr als 180 Stimmen in über 30 Sprachen und Varianten konvertiert, kann das gelingen. Speech-to-Text ist der umgekehrte Vorgang, bei dem natürliche menschliche Sprache in Textform umgewandelt wird, auch das ist ein Trend. 

Weiterhin bleibt es eine Herausforderung, Chatbots mit “fließenden” Gesprächsfähigkeiten zu programmieren. Das beruht darauf, dass sich die meisten NLP-Systeme heute darauf konzentrieren, was die KI benötigt, um das Gesagte der Nutzerin oder des Nutzers zu verstehen. Die Bot-Entwickler oder  Bot-Designer nehmen anschließend die Arbeit auf. Wenn ein Scheduler zu dem Bot hinzugefügt wird, muss die Konversation gestaltet und die Logik auf den heute existierenden Plattformen kodiert werden. Ich vermute zudem, dass sich Unternehmen zunehmend den Multi-Turn-Kommunikationsfunktionen widmen. Diese ermöglichen es dem Bot-Entwickler, atomare Einheiten von Gesprächen zu integrieren, die das Verständnis der natürlichen Sprache, das Multi-Turn-Dialogmanagement und die mit der Antwort verbundene Mikrokopie beinhalten.

Hinkt Deutschland eigentlich der internationalen Entwicklung hinterher? Aus welchen Ländern kommen in Sachen Voice und Chatbots derzeit die Impulse?

Barel: Auch in Deutschland herrscht Innovationskraft in Hinblick auf Conversational AI. Beispielsweise bietet Rasa eine kostenlose Open-Source-Infrastruktur, mit der Expertinnen und Experten sowohl Chatbots als auch sprachbasierte digitale Assistenten entwickeln können. Das Unternehmen betreut Kunden verschiedenster Branchen wie Banken, Gesundheitswesen, Telekommunikation, Versicherungen und Reisen.

Ein weiteres Beispiel ist Cognigy mit Hauptsitz in Düsseldorf. Es bietet derzeit eine Conversational-AI-Plattform für Kunden aus den Bereichen Customer Service, Einzelhandel, Personalwesen und interner IT. Ebenfalls eine gutes Beispiel ist BOTfriends, das sich auf die Entwicklung von Chatbots in Messenger-Plattformen sowie von Sprachassistenten mit künstlicher Intelligenz konzentriert. Zugleich ist BOTfriends an der Automatisierung von Gesprächen in einer Vielzahl von Bereichen beteiligt, beispielsweise dem Tourismus, Autohandel und Veranstaltungen. Diese Beispiele untermauern die deutsche Innovationsstärke und Zukunftsfähigkeit im Bereich Conversational AI. Nichtsdestotrotz: Die USA sind weiterhin Vorreiter in Conversational AI. Und die Heimat von Microsoft, Apple, Google, Amazon und Facebook, die diese Revolution vorantreiben.

Und Israel?

Barel: Auch die israelische Tech-Szene ist schon längst auf den Zug der Conversational AI aufgesprungen. Ein Beispiel: LogMeIn erwarb das israelische Startup-Unternehmen Nano rep, auf dessen Basis das Produkt Bold360 entwickelt wurde. Wir haben auch Kasisto und Personetics, die die Conversational AI im Bankwesen entscheidend voranbringen, wohingegen Lemonade im Versicherungssektor führend ist. Des Weiteren spielt AudioCodes eine starke Rolle bei der Umsetzung einer Kommunikation mit der Conversational AI, die die Kunden verstärkt an den natürlichen zwischenmenschlichen Sprachgebrauch erinnert. Außerdem lassen sich mit AudioCodes, deren Technik heute schon verfügbar ist, Gespräche mit viel weniger Aufwand aufbauen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Yoav Barel ist Chatbot-Experte sowie Gründer und CEO der internationalen Konferenzreihe Chatbot Summit. Er zählt zu den weltweit führenden Bot-Entwicklern und ist ein international gefragter Speaker.  Zuletzt gründete er Sunrize LTD. Das Unternehmen arbeitet mit Marken zusammen, um über Conversational AI das digitale Kundenerlebnis zu verbessern.


"Chatbots nähern sich Menschen an"

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5 Minuten

06.02.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Yoav Barel

Chatbots lösen längst vielfach mehr als nur einfache kommunikative Aufgaben. Die virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der menschlichen Dialogfähigkeit an. Ein Gespräch mit dem internationalen Chatbot-Experten und Bot-Entwickler Yoav Barel über Unternehmen, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen, Herausforderungen wie Sprachbiometrie sowie die Top-Trends der kommenden Monate.

Herr Barel, Voicebots und Künstliche Intelligenz haben ihren Weg in die Call-Center gefunden. Welche Aufgaben nehmen sie dort in der Regel bereits wahr?

Yoav Barel: Die Anwendung von Chatbots fängt zunächst dort an, wo sie einfache Probleme und Aufgaben lösen: Ein einfaches Beispiel ist das Call-Routing. Hier geht es um die Suche nach dem richtigen Agenten zum Lösen des jeweiligen Problems. Die Plattform “Maven” von LivePerson hat sich beispielsweise genau darauf spezialisiert. Das KI-gestützte Routing von Maven leitet Gespräche intelligent an den passenden Agenten, Bot oder den gesuchten Inhalt weiter. Dadurch erfolgt eine schnelle Bearbeitung der Kundenanfragen, die auf dem Verständnis der KI für kontextuelle Informationen basiert. Dazu zählen Profilinformationen der Kundinnen und Kunden, die Interaktionshistorie und der Contact-Center-Betrieb.

Die Produktivität von Agenten in Call Centern wird auch mithilfe von bestimmten KI-Software-Tools vorangetrieben. Zum Beispiel steigert das Start-up Reps.AI mit seiner KI die Produktivität der menschlichen Mitarbeiter.

Welche Beispiele spielen Ihrer Meinung nach eine Vorreiterrolle?

Barel: Im Bereich von Schönheitsprodukten stellen mittlerweile einige Onlineshops grundlegende Produktdetails und Preise bereit. Die Kosmetikkette Sephora setzt beispielsweise in der Kundenkommunikation auf einen Chatbot über den Facebook Messenger. Das Kleinunternehmen Circle Medical wiederum nutzt einen Chatbot für die Terminvereinbarung. Und die Versicherungsgesellschaft Helvetia setzt einen Chatbot bei der Zahlungsabwicklung ein, der gleichzeitig die Versicherungsansprüche von Kunden bearbeitet.

Chatbots und Sprachassistenten können Kundenanfragen in Sekundenschnelle  beantworten. Sie bieten einen 24-stündigen Service und bauen aufgrund der natürlichen Sprachverarbeitung ein nahezu menschliches Gespräch auf. Die Antworten der Conversational AI basieren dabei auf den Reaktionen des Kunden auf frühere Fragen. 

Das alles ist nur ein erster Schritt in einer rasanten technologischen Entwicklung. Wo stehen wir in den nächsten Jahren? Was kommt auf uns zu?

Barel: Das Ziel der Entwicklung ist letztendlich, dass ein menschlicher Mitarbeiter nur noch an einem Prozent der Interaktionen beteiligt sein wird. Größtenteils erledigen dann Chatbots, Voice AI und AR/ VR die Aufgaben – bis es allerdings soweit ist, steht noch die ein oder andere Herausforderung an.

Welche Herausforderungen sind das?

Barel: Zunächst ist es wichtig, dass ein fehlerfreies Call-Routing gewährleistet wird – sowohl im Messaging als auch bei der Voice AI. Die Automatisierung vieler einfacher und repetitiver Aufgaben sollte ebenfalls rasch erfolgen – dazu zählen die Erfassung von Kundenfeedback, die Reaktion auf Kundenbewertungen und die Speicherung und Verarbeitung von Kundendaten. Dritter Punkt: Das Erkennen von Emotionen. Das dient zur Vorhersage von potentiellen Eskalationen in der Kommunikation mit den Kunden. Die emotionale Verfassung des Menschen soll dabei aus seinem Gesicht abgeleitet werden. Daraus kann wiederum der menschliche Mitarbeiter Schlüsse ableiten, wie die Kommunikation mit dem Kunden möglichst effizient ablaufen könnte.

Eine weitere Herausforderung: Die Sprachbiometrie. Sie verwendet Sprachmuster, um eine eindeutige Identifizierung für jeden Einzelnen zu ermöglichen. Dazu zählen die Erkennung von Aussprache, Hervorhebung, Sprechgeschwindigkeit und Akzent. Somit stellt die eigene Sprache eine weitere Authentifizierungsstufe für die Online-Profile der Nutzer unter anderem im Banken- und Versicherungssektor dar.  Automatische Spracherkennungssysteme werden ebenfalls fortlaufend verbessert, sodass sie in der Lage sind, zahlreiche Dialekte und mehrere Sprachen zu verstehen.

Kurzum: Die Reaktionen der virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der natürlichen Kommunikation an. Hinzu kommen in Zukunft reibungslosere Abläufe, sodass sich das Gespräch mit einem KI-Assistenten viel natürlicher anfühlen wird als heute. Ein Beispiel ist die Google WaveNet-Technologie, die allerdings nur den Anfang darstellt. Auch Conversational AI wird sich stetig weiterentwickeln. Vor allem um Lösungen für komplexere Fragen anzubieten, wobei Faktoren wie die Phase der Customer Journey, die Persönlichkeit des Benutzers und der Tonfall berücksichtigt werden.

Als Ergebnis dieser Entwicklungen erwarte ich auch, dass immer mehr große Unternehmen wie Vodafone Bots auf den Markt bringen. Auch kleine Unternehmen werden Chatbots in ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten integrieren. Darüber hinaus werden immer mehr Unternehmen entstehen, die sich mit der Gesprächsführung in der KI befassen.

Was bedeutet das? Gehören damit die minutenlangen nervigen Warteschleifen schon bald der Vergangenheit an?

Barel: Die Generation Z kennt Telefonzellen mittlerweile nicht mehr – die nächste Generation wird nicht mehr wissen, was Warteschleifen sind. Dennoch: Es liegt an der Innovationskraft der Unternehmen und Entwickler, ob diese Zukunftsmusik letztendlich Realität wird.

Lästige Warteschleifen werden bereits heute in einigen Unternehmen eliminiert. Das Versicherungsunternehmen Lemonade, ein dialogorientiertes KI-First-Unternehmen, nutzt einen Bot, der Schadensfälle innerhalb von drei Sekunden bearbeiten kann – ein Weltrekord in der Schadensbearbeitung. Im Bankensektor hat Bradesco, eine der größten Banken Brasiliens, die Antwortzeiten für Kundenanfragen von zehn Minuten auf wenige Sekunden seit dem Einsatz von Chatbots in der Kundenbetreuung verkürzt.

Google rollt gerade Duplex international aus: Ist es denkbar, dass schon bald der Voice-Aissistent mit einem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert und damit meine persönlichen Fragen erledigt?

Barel: Ursprünglich wurde Duplex für Restaurantreservierungen verwendet, wobei sich Duplex mit den Restaurantmitarbeitenden über den Google Assistant unterhalten sollte. Seitdem Duplex auf Chrome veröffentlicht wurde, ist es aber auch möglich, Kinotickets im Internet zu buchen, wobei die Buchung der Sitzplätze mithilfe von textbasierten Antworten erfolgt. Da die Fähigkeiten von Duplex voraussichtlich weiter wachsen werden, erwarte ich, dass auch Voice-First-Anwendungen entwickelt und bestehende Bots sprachaktiviert werden. Daher ist die Vorstellung, dass der Sprachassistent eines Verbrauchers schon bald mit dem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert, nicht unbedingt mehr Zukunftsmusik.

Unternehmen arbeiten derzeit intensiv daran, dass Bots auch Emotionen erkennen können. Dann, so die Überlegung, könnte man noch sensibler und genauer auf die Wünsche und Fragen des Kunden reagieren. 

Barel: In diesem Bereich werden bereits große Fortschritte erzielt. Das Spin-off Affectiva des MIT Media Lab hat kürzlich ein neuronales Netzwerk, SoundNet, vorgestellt. Das Netzwerk kann Wut in nur 1,2 Sekunden aus Audiodaten erkennen – der Mensch benötigt mehr Zeit. Ein weiteres Beispiel ist Sestek, das KI-basierte Benutzeranalysen in Call Centern anbietet. In den Call Centern werden dann Sprachanalysesoftware verwendet, um aufgezeichnete Gespräche zu transkribieren und Kundenemotionen zu analysieren.

Die Krankenkasse Humana hat die Speicherung und Verarbeitung von Voice Analytics in ihr Call Center integriert. Damit erzielte Humana eine Steigerung der Kundenzufriedenheit um 28 Prozent und des Mitarbeiterengagements um 63 Prozent. Cogito, ein amerikanisches Startup-Unternehmen, startete Cogito-Dialog, das Sprachsignale analysiert, um Dinge wie Kundenbindung und Frustration zu bestimmen. Die Software gibt den Call-Center-Mitarbeitern während der Gespräche ein Echtzeit-Feedback, das es ihnen ermöglicht, ihre Vorgehensweise anzupassen.

Im Bereich der psychischen Gesundheit sehen wir ebenfalls bereits eine Reihe von Bots, die eingesetzt werden, um die Nutzer bei Fragen rund um psychische Gesundheit zu unterstützen. Der Chatbot Tess der X2 KI ist beispielsweise in der Lage, den Benutzern die gleichen Ratschläge zu geben, die auch von klinischen Psychologen gegeben werden.

Mitte Dezember fand in Berlin der Chatbot Summit statt, dessen Gründer und CEO Sie sind. Was sind die Top-Trends des kommenden Jahres?

Barel: Obwohl der anfängliche Hype um Chatbots gesunken ist, erkennen Unternehmen zunehmend den Mehrwert, den ihnen die Implementierung von Conversational AI in den Kundenservice und andere Aktivitäten bringt. Kundendaten werden verstärkt wiederverwendet, um sicherzustellen, dass die Fragen der Kunden individueller beantwortet werden – unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Daten, Vorlieben, Abneigungen und früheren Entscheidungen.

Derzeit befindet sich zudem die Konvertierung von Text in menschenähnliche Sprache in der Entwicklung. Mit Produkten wie der Google Cloud, die Text in Sprache in mehr als 180 Stimmen in über 30 Sprachen und Varianten konvertiert, kann das gelingen. Speech-to-Text ist der umgekehrte Vorgang, bei dem natürliche menschliche Sprache in Textform umgewandelt wird, auch das ist ein Trend. 

Weiterhin bleibt es eine Herausforderung, Chatbots mit “fließenden” Gesprächsfähigkeiten zu programmieren. Das beruht darauf, dass sich die meisten NLP-Systeme heute darauf konzentrieren, was die KI benötigt, um das Gesagte der Nutzerin oder des Nutzers zu verstehen. Die Bot-Entwickler oder  Bot-Designer nehmen anschließend die Arbeit auf. Wenn ein Scheduler zu dem Bot hinzugefügt wird, muss die Konversation gestaltet und die Logik auf den heute existierenden Plattformen kodiert werden. Ich vermute zudem, dass sich Unternehmen zunehmend den Multi-Turn-Kommunikationsfunktionen widmen. Diese ermöglichen es dem Bot-Entwickler, atomare Einheiten von Gesprächen zu integrieren, die das Verständnis der natürlichen Sprache, das Multi-Turn-Dialogmanagement und die mit der Antwort verbundene Mikrokopie beinhalten.

Hinkt Deutschland eigentlich der internationalen Entwicklung hinterher? Aus welchen Ländern kommen in Sachen Voice und Chatbots derzeit die Impulse?

Barel: Auch in Deutschland herrscht Innovationskraft in Hinblick auf Conversational AI. Beispielsweise bietet Rasa eine kostenlose Open-Source-Infrastruktur, mit der Expertinnen und Experten sowohl Chatbots als auch sprachbasierte digitale Assistenten entwickeln können. Das Unternehmen betreut Kunden verschiedenster Branchen wie Banken, Gesundheitswesen, Telekommunikation, Versicherungen und Reisen.

Ein weiteres Beispiel ist Cognigy mit Hauptsitz in Düsseldorf. Es bietet derzeit eine Conversational-AI-Plattform für Kunden aus den Bereichen Customer Service, Einzelhandel, Personalwesen und interner IT. Ebenfalls eine gutes Beispiel ist BOTfriends, das sich auf die Entwicklung von Chatbots in Messenger-Plattformen sowie von Sprachassistenten mit künstlicher Intelligenz konzentriert. Zugleich ist BOTfriends an der Automatisierung von Gesprächen in einer Vielzahl von Bereichen beteiligt, beispielsweise dem Tourismus, Autohandel und Veranstaltungen. Diese Beispiele untermauern die deutsche Innovationsstärke und Zukunftsfähigkeit im Bereich Conversational AI. Nichtsdestotrotz: Die USA sind weiterhin Vorreiter in Conversational AI. Und die Heimat von Microsoft, Apple, Google, Amazon und Facebook, die diese Revolution vorantreiben.

Und Israel?

Barel: Auch die israelische Tech-Szene ist schon längst auf den Zug der Conversational AI aufgesprungen. Ein Beispiel: LogMeIn erwarb das israelische Startup-Unternehmen Nano rep, auf dessen Basis das Produkt Bold360 entwickelt wurde. Wir haben auch Kasisto und Personetics, die die Conversational AI im Bankwesen entscheidend voranbringen, wohingegen Lemonade im Versicherungssektor führend ist. Des Weiteren spielt AudioCodes eine starke Rolle bei der Umsetzung einer Kommunikation mit der Conversational AI, die die Kunden verstärkt an den natürlichen zwischenmenschlichen Sprachgebrauch erinnert. Außerdem lassen sich mit AudioCodes, deren Technik heute schon verfügbar ist, Gespräche mit viel weniger Aufwand aufbauen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Yoav Barel ist Chatbot-Experte sowie Gründer und CEO der internationalen Konferenzreihe Chatbot Summit. Er zählt zu den weltweit führenden Bot-Entwicklern und ist ein international gefragter Speaker.  Zuletzt gründete er Sunrize LTD. Das Unternehmen arbeitet mit Marken zusammen, um über Conversational AI das digitale Kundenerlebnis zu verbessern.


"Chatbots nähern sich Menschen an"

Interview

5 Minuten

06.02.2020

Helmut van Rinsum

Portrait von Yoav Barel

Chatbots lösen längst vielfach mehr als nur einfache kommunikative Aufgaben. Die virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der menschlichen Dialogfähigkeit an. Ein Gespräch mit dem internationalen Chatbot-Experten und Bot-Entwickler Yoav Barel über Unternehmen, die hier eine Vorreiterrolle einnehmen, Herausforderungen wie Sprachbiometrie sowie die Top-Trends der kommenden Monate.

Herr Barel, Voicebots und Künstliche Intelligenz haben ihren Weg in die Call-Center gefunden. Welche Aufgaben nehmen sie dort in der Regel bereits wahr?

Yoav Barel: Die Anwendung von Chatbots fängt zunächst dort an, wo sie einfache Probleme und Aufgaben lösen: Ein einfaches Beispiel ist das Call-Routing. Hier geht es um die Suche nach dem richtigen Agenten zum Lösen des jeweiligen Problems. Die Plattform “Maven” von LivePerson hat sich beispielsweise genau darauf spezialisiert. Das KI-gestützte Routing von Maven leitet Gespräche intelligent an den passenden Agenten, Bot oder den gesuchten Inhalt weiter. Dadurch erfolgt eine schnelle Bearbeitung der Kundenanfragen, die auf dem Verständnis der KI für kontextuelle Informationen basiert. Dazu zählen Profilinformationen der Kundinnen und Kunden, die Interaktionshistorie und der Contact-Center-Betrieb.

Die Produktivität von Agenten in Call Centern wird auch mithilfe von bestimmten KI-Software-Tools vorangetrieben. Zum Beispiel steigert das Start-up Reps.AI mit seiner KI die Produktivität der menschlichen Mitarbeiter.

Welche Beispiele spielen Ihrer Meinung nach eine Vorreiterrolle?

Barel: Im Bereich von Schönheitsprodukten stellen mittlerweile einige Onlineshops grundlegende Produktdetails und Preise bereit. Die Kosmetikkette Sephora setzt beispielsweise in der Kundenkommunikation auf einen Chatbot über den Facebook Messenger. Das Kleinunternehmen Circle Medical wiederum nutzt einen Chatbot für die Terminvereinbarung. Und die Versicherungsgesellschaft Helvetia setzt einen Chatbot bei der Zahlungsabwicklung ein, der gleichzeitig die Versicherungsansprüche von Kunden bearbeitet.

Chatbots und Sprachassistenten können Kundenanfragen in Sekundenschnelle  beantworten. Sie bieten einen 24-stündigen Service und bauen aufgrund der natürlichen Sprachverarbeitung ein nahezu menschliches Gespräch auf. Die Antworten der Conversational AI basieren dabei auf den Reaktionen des Kunden auf frühere Fragen. 

Das alles ist nur ein erster Schritt in einer rasanten technologischen Entwicklung. Wo stehen wir in den nächsten Jahren? Was kommt auf uns zu?

Barel: Das Ziel der Entwicklung ist letztendlich, dass ein menschlicher Mitarbeiter nur noch an einem Prozent der Interaktionen beteiligt sein wird. Größtenteils erledigen dann Chatbots, Voice AI und AR/ VR die Aufgaben – bis es allerdings soweit ist, steht noch die ein oder andere Herausforderung an.

Welche Herausforderungen sind das?

Barel: Zunächst ist es wichtig, dass ein fehlerfreies Call-Routing gewährleistet wird – sowohl im Messaging als auch bei der Voice AI. Die Automatisierung vieler einfacher und repetitiver Aufgaben sollte ebenfalls rasch erfolgen – dazu zählen die Erfassung von Kundenfeedback, die Reaktion auf Kundenbewertungen und die Speicherung und Verarbeitung von Kundendaten. Dritter Punkt: Das Erkennen von Emotionen. Das dient zur Vorhersage von potentiellen Eskalationen in der Kommunikation mit den Kunden. Die emotionale Verfassung des Menschen soll dabei aus seinem Gesicht abgeleitet werden. Daraus kann wiederum der menschliche Mitarbeiter Schlüsse ableiten, wie die Kommunikation mit dem Kunden möglichst effizient ablaufen könnte.

Eine weitere Herausforderung: Die Sprachbiometrie. Sie verwendet Sprachmuster, um eine eindeutige Identifizierung für jeden Einzelnen zu ermöglichen. Dazu zählen die Erkennung von Aussprache, Hervorhebung, Sprechgeschwindigkeit und Akzent. Somit stellt die eigene Sprache eine weitere Authentifizierungsstufe für die Online-Profile der Nutzer unter anderem im Banken- und Versicherungssektor dar.  Automatische Spracherkennungssysteme werden ebenfalls fortlaufend verbessert, sodass sie in der Lage sind, zahlreiche Dialekte und mehrere Sprachen zu verstehen.

Kurzum: Die Reaktionen der virtuellen Sprachassistenten nähern sich verstärkt der natürlichen Kommunikation an. Hinzu kommen in Zukunft reibungslosere Abläufe, sodass sich das Gespräch mit einem KI-Assistenten viel natürlicher anfühlen wird als heute. Ein Beispiel ist die Google WaveNet-Technologie, die allerdings nur den Anfang darstellt. Auch Conversational AI wird sich stetig weiterentwickeln. Vor allem um Lösungen für komplexere Fragen anzubieten, wobei Faktoren wie die Phase der Customer Journey, die Persönlichkeit des Benutzers und der Tonfall berücksichtigt werden.

Als Ergebnis dieser Entwicklungen erwarte ich auch, dass immer mehr große Unternehmen wie Vodafone Bots auf den Markt bringen. Auch kleine Unternehmen werden Chatbots in ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten integrieren. Darüber hinaus werden immer mehr Unternehmen entstehen, die sich mit der Gesprächsführung in der KI befassen.

Was bedeutet das? Gehören damit die minutenlangen nervigen Warteschleifen schon bald der Vergangenheit an?

Barel: Die Generation Z kennt Telefonzellen mittlerweile nicht mehr – die nächste Generation wird nicht mehr wissen, was Warteschleifen sind. Dennoch: Es liegt an der Innovationskraft der Unternehmen und Entwickler, ob diese Zukunftsmusik letztendlich Realität wird.

Lästige Warteschleifen werden bereits heute in einigen Unternehmen eliminiert. Das Versicherungsunternehmen Lemonade, ein dialogorientiertes KI-First-Unternehmen, nutzt einen Bot, der Schadensfälle innerhalb von drei Sekunden bearbeiten kann – ein Weltrekord in der Schadensbearbeitung. Im Bankensektor hat Bradesco, eine der größten Banken Brasiliens, die Antwortzeiten für Kundenanfragen von zehn Minuten auf wenige Sekunden seit dem Einsatz von Chatbots in der Kundenbetreuung verkürzt.

Google rollt gerade Duplex international aus: Ist es denkbar, dass schon bald der Voice-Aissistent mit einem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert und damit meine persönlichen Fragen erledigt?

Barel: Ursprünglich wurde Duplex für Restaurantreservierungen verwendet, wobei sich Duplex mit den Restaurantmitarbeitenden über den Google Assistant unterhalten sollte. Seitdem Duplex auf Chrome veröffentlicht wurde, ist es aber auch möglich, Kinotickets im Internet zu buchen, wobei die Buchung der Sitzplätze mithilfe von textbasierten Antworten erfolgt. Da die Fähigkeiten von Duplex voraussichtlich weiter wachsen werden, erwarte ich, dass auch Voice-First-Anwendungen entwickelt und bestehende Bots sprachaktiviert werden. Daher ist die Vorstellung, dass der Sprachassistent eines Verbrauchers schon bald mit dem Chatbot eines Unternehmens kommuniziert, nicht unbedingt mehr Zukunftsmusik.

Unternehmen arbeiten derzeit intensiv daran, dass Bots auch Emotionen erkennen können. Dann, so die Überlegung, könnte man noch sensibler und genauer auf die Wünsche und Fragen des Kunden reagieren. 

Barel: In diesem Bereich werden bereits große Fortschritte erzielt. Das Spin-off Affectiva des MIT Media Lab hat kürzlich ein neuronales Netzwerk, SoundNet, vorgestellt. Das Netzwerk kann Wut in nur 1,2 Sekunden aus Audiodaten erkennen – der Mensch benötigt mehr Zeit. Ein weiteres Beispiel ist Sestek, das KI-basierte Benutzeranalysen in Call Centern anbietet. In den Call Centern werden dann Sprachanalysesoftware verwendet, um aufgezeichnete Gespräche zu transkribieren und Kundenemotionen zu analysieren.

Die Krankenkasse Humana hat die Speicherung und Verarbeitung von Voice Analytics in ihr Call Center integriert. Damit erzielte Humana eine Steigerung der Kundenzufriedenheit um 28 Prozent und des Mitarbeiterengagements um 63 Prozent. Cogito, ein amerikanisches Startup-Unternehmen, startete Cogito-Dialog, das Sprachsignale analysiert, um Dinge wie Kundenbindung und Frustration zu bestimmen. Die Software gibt den Call-Center-Mitarbeitern während der Gespräche ein Echtzeit-Feedback, das es ihnen ermöglicht, ihre Vorgehensweise anzupassen.

Im Bereich der psychischen Gesundheit sehen wir ebenfalls bereits eine Reihe von Bots, die eingesetzt werden, um die Nutzer bei Fragen rund um psychische Gesundheit zu unterstützen. Der Chatbot Tess der X2 KI ist beispielsweise in der Lage, den Benutzern die gleichen Ratschläge zu geben, die auch von klinischen Psychologen gegeben werden.

Mitte Dezember fand in Berlin der Chatbot Summit statt, dessen Gründer und CEO Sie sind. Was sind die Top-Trends des kommenden Jahres?

Barel: Obwohl der anfängliche Hype um Chatbots gesunken ist, erkennen Unternehmen zunehmend den Mehrwert, den ihnen die Implementierung von Conversational AI in den Kundenservice und andere Aktivitäten bringt. Kundendaten werden verstärkt wiederverwendet, um sicherzustellen, dass die Fragen der Kunden individueller beantwortet werden – unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Daten, Vorlieben, Abneigungen und früheren Entscheidungen.

Derzeit befindet sich zudem die Konvertierung von Text in menschenähnliche Sprache in der Entwicklung. Mit Produkten wie der Google Cloud, die Text in Sprache in mehr als 180 Stimmen in über 30 Sprachen und Varianten konvertiert, kann das gelingen. Speech-to-Text ist der umgekehrte Vorgang, bei dem natürliche menschliche Sprache in Textform umgewandelt wird, auch das ist ein Trend. 

Weiterhin bleibt es eine Herausforderung, Chatbots mit “fließenden” Gesprächsfähigkeiten zu programmieren. Das beruht darauf, dass sich die meisten NLP-Systeme heute darauf konzentrieren, was die KI benötigt, um das Gesagte der Nutzerin oder des Nutzers zu verstehen. Die Bot-Entwickler oder  Bot-Designer nehmen anschließend die Arbeit auf. Wenn ein Scheduler zu dem Bot hinzugefügt wird, muss die Konversation gestaltet und die Logik auf den heute existierenden Plattformen kodiert werden. Ich vermute zudem, dass sich Unternehmen zunehmend den Multi-Turn-Kommunikationsfunktionen widmen. Diese ermöglichen es dem Bot-Entwickler, atomare Einheiten von Gesprächen zu integrieren, die das Verständnis der natürlichen Sprache, das Multi-Turn-Dialogmanagement und die mit der Antwort verbundene Mikrokopie beinhalten.

Hinkt Deutschland eigentlich der internationalen Entwicklung hinterher? Aus welchen Ländern kommen in Sachen Voice und Chatbots derzeit die Impulse?

Barel: Auch in Deutschland herrscht Innovationskraft in Hinblick auf Conversational AI. Beispielsweise bietet Rasa eine kostenlose Open-Source-Infrastruktur, mit der Expertinnen und Experten sowohl Chatbots als auch sprachbasierte digitale Assistenten entwickeln können. Das Unternehmen betreut Kunden verschiedenster Branchen wie Banken, Gesundheitswesen, Telekommunikation, Versicherungen und Reisen.

Ein weiteres Beispiel ist Cognigy mit Hauptsitz in Düsseldorf. Es bietet derzeit eine Conversational-AI-Plattform für Kunden aus den Bereichen Customer Service, Einzelhandel, Personalwesen und interner IT. Ebenfalls eine gutes Beispiel ist BOTfriends, das sich auf die Entwicklung von Chatbots in Messenger-Plattformen sowie von Sprachassistenten mit künstlicher Intelligenz konzentriert. Zugleich ist BOTfriends an der Automatisierung von Gesprächen in einer Vielzahl von Bereichen beteiligt, beispielsweise dem Tourismus, Autohandel und Veranstaltungen. Diese Beispiele untermauern die deutsche Innovationsstärke und Zukunftsfähigkeit im Bereich Conversational AI. Nichtsdestotrotz: Die USA sind weiterhin Vorreiter in Conversational AI. Und die Heimat von Microsoft, Apple, Google, Amazon und Facebook, die diese Revolution vorantreiben.

Und Israel?

Barel: Auch die israelische Tech-Szene ist schon längst auf den Zug der Conversational AI aufgesprungen. Ein Beispiel: LogMeIn erwarb das israelische Startup-Unternehmen Nano rep, auf dessen Basis das Produkt Bold360 entwickelt wurde. Wir haben auch Kasisto und Personetics, die die Conversational AI im Bankwesen entscheidend voranbringen, wohingegen Lemonade im Versicherungssektor führend ist. Des Weiteren spielt AudioCodes eine starke Rolle bei der Umsetzung einer Kommunikation mit der Conversational AI, die die Kunden verstärkt an den natürlichen zwischenmenschlichen Sprachgebrauch erinnert. Außerdem lassen sich mit AudioCodes, deren Technik heute schon verfügbar ist, Gespräche mit viel weniger Aufwand aufbauen.

Das Interview führte Helmut van Rinsum

Yoav Barel ist Chatbot-Experte sowie Gründer und CEO der internationalen Konferenzreihe Chatbot Summit. Er zählt zu den weltweit führenden Bot-Entwicklern und ist ein international gefragter Speaker.  Zuletzt gründete er Sunrize LTD. Das Unternehmen arbeitet mit Marken zusammen, um über Conversational AI das digitale Kundenerlebnis zu verbessern.


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