Schadet die Krise der Entwicklung von KI?

Laut einer Bitkom-Studie gilt Künstliche Intelligenz in der deutschen Wirtschaft zwar als Zukunftstechnologie – wird aber selten genutzt. Auch die Investitionen in KI steigen nur noch langsam. Ist die Krise daran schuld? Wir haben von einigen Experten Stimmen eingeholt.

Foto von Lindsay Jönsson, NogaKrisen wirken bei KI als Hemnis

Was eine Künstliche Intelligenz bereits heute vortrefflich kann, ist die Aussteuerung von Werbemitteln. Insbesondere Ad Manager können so automatisiert einen Teil ihres Jobs effizienter erledigen als früher. Doch eine komplexere Aufgabe ist es, KI im Kontext von Kreativprozessen einzusetzen, selbst wenn dies wie etwa im Social-Media-Umfeld für mehr oder weniger gleichförmige Tasks erfolgt. All das braucht vor allem Know-how (und damit Investitionen) in den Unternehmen und wird sich daher erst nach und nach entwickeln können. Die Vielzahl von Krisen, die wir aktuell sehen, wirkt zwar in einigen Bereichen (etwa New-Work-Strukturen) als Katalysator, in anderen wie dem weiten Feld der Künstlichen Intelligenz aber wiederum auch aufgrund der fehlenden Entwicklungsbudgets als Hemmnis. Nicht nur deswegen wird es noch sehr lange dauern, bis eine KI im Kreativprozess ihr tatsächliches Potenzial ausschöpfen kann.“
Lindsay Jönsson, Managing Director Noga

Foto von Dr. Ralf Strauß, Marketing TechLab KI-Claims nur unzureichend gesteckt

Die Veränderungsgeschwindigkeit in Richtung Data-Driven Marketing steigt weiter, die cross-funktionale Kollaboration in Unternehmen muss dem oft strapazierten Credo der ‚Alternativlosigkeit‘ folgen. Die Aktivierung ‚alleswissender Datenmüllhalden‘ ist manuell kaum darstellbar und muss weitergehend automatisiert werden. Hier finden sich Anwendungsszenarien für Künstliche Intelligenz: von der mehrstufigen Analyse der Daten bis zur Aktivierung von Next Best Actions mit Realtime-Kundeninteraktionen – die Welle rollt gerade erst an. Die größte Herausforderung dabei: das Orchester von MarTech, Know-how, Prozessen und Daten zu einer gemeinsamen Symphonie zu vereinen. Was viele dabei verkennen: Wie in den Anfangsjahren des Goldrausches sind die wertvollen Data- und KI-Claims in den meisten Unternehmen wieder nur unzureichend (konzeptionell) gesichert: nicht genutzte Daten, unzureichende Aktivierung oder auch die fehlerhafte Parametrisierung der eingesetzten Tools im Bereich KI – während die GAFA-Datenschürfer Champagner im Salon schlürfen.“
Ralf Strauß, Präsident Deutscher Marketing Verband, Managing Partner Marketing Tech Lab GmbH

Foto von Dirk Görtz, Dialogmarketing Dt. PostKeine Auswirkung auf Dialogmarketing

Für den Bereich Dialogmarketing gilt das nicht: Hier setzen im Gegenteil immer mehr Marketingverantwortliche auf Marketing-Automation-Lösungen mit KI-Unterstützung, um nahtlos über alle Kanäle mit fein segmentierten Zielgruppen kommunizieren zu können. Da Werbetreibende seit einiger Zeit über ihre Marketing-Automation-Tools via App oder API auch Print-Mailings integriert und hoch individualisiert aussteuern können, ergibt sich hier neues Potenzial. Bei den Konsument:innen kommt das gut an, denn das Bedürfnis nach individualisierter Ansprache mit maßgeschneiderten Inhalten ist stark gestiegen. Die Kombination aus den Daten einerseits und den passenden Lösungen andererseits ergibt hochindividualisierte Maßnahmen, die aus meiner Sicht nach wie vor zu den großen Trends der kommenden Jahre zählen. Das betrifft die Kampagnen, die viel granularer an Zielgruppen ausgerichtet werden können. Und es betrifft auch klassische Medien, die dadurch im Kern verändert werden. Das Print-Mailing ist zum Beispiel längst ein digitales Medium geworden – mit Offline-Output.“
Dirk Görtz, Vice President Produkt-Marketing & Kommunikation, Post & Paket Deutschland

Bild von CHristopher Jakobus, SmarketerBudget-Streichungen sind gefährlich

 Dass Künstliche Intelligenz und Machine Learning im Marketing auf lange Sicht eine wichtige Rolle spielen werden, daran zweifelt wohl niemand mehr. Doch der Weg zu einem Mehrwert durch KI-basierter Automatisierung führt vor allem über die Daten. Auch wenn der Bitkom in seiner kürzlich durchgeführten Befragung ermittelt hat, dass viele Unternehmen hier derzeit KI-Budgets angesichts der Krise gestrichen oder beschnitten haben, ist das eine gefährliche Entscheidung. Denn gerade im Performance Marketing werden wir in den nächsten Jahren einen fortschreitenden Fachkräftemangel erleben. Unternehmen, die nicht alles tun, um Aufgaben möglichst weitgehend auf Machine-Learning-Basis zu rationalisieren, könnten deshalb über kurz oder lang ein Problem haben.“
Christopher Jakobus, Head of Sales, Smarketer